Eines vorab : der Frühling scheint Einkehr zu halten, die Temperaturen sind gegenüber dem Ankunftsmorgen deutlich gestiegen, die Zahl der in Winterbekleidung durch die Straßen strömenden Einheimischen geht spürbar zurück, unsere Laune steigt mit jedem Grad Temparaturanstieg.
In den vergangenen 4 Tagen sind wir deutlich mehr als einen Marathon lang über viele Stunden durch die Viertel San Telmo, La Boca, Puerto Madero, Centro und Microcentro, Teilen von Monserrat, Teilen von Retiro, Recoleta und Palermo gelaufen, so viel gewandert, daß Katrin gestern das Gefühl hatte, die Socken würden langsam verschmoren. Unser vorläufiges Fazit fällt äußerst gemischt aus : eher mehr Schatten als Licht.
Natürlich ist Buenos Aires eine faszinierende Stadt,insbesondere in der engeren Innenstadt finden sich zahlreiche wunderschöne Profanbauwerke und staatliche Bauten aus vergangenen Zeiten, Kirchen, die Kathedrale, andere öffentliche Prunkbauten, Monumente, schön gestaltete Brunnen, Parks (? – dazu mehr später), pulsiert das Leben – teilweise mehr auf den proppevollen Fahrbahnen als auf den Fußwegen – findet man unzählige den gut gefüllten Geldbeutel ansprechende Geschäfte. Das nicht überall exklusive Ware angeboten wird, auch in den bekannten Einkaufsstraßen, war dann doch augenfällig. Aus aufwändig gestalteten Schaufenstern sprangen dem Passanten ständig z.B. Rolexangebote ins Auge – nicht dutzenden sondern hunderten dieser Geschäfte sind wir während unserer Wanderungen begegnet; es scheint, Rolex ist hier ein Jedermannprodukt, von Exklusivität keine Spur (!?)Je nach Viertel Menschen voller Hast oder in betonter Langsamkeit. Wenn man aber drei Ampelphasen benötigt, um eine breite Fahrschneise – von 6 Fahrspuren an aufwärts bis m.E. inkl. Busspuren 16 Bahnen (!) -quer durch die Stadt zu überqueren, beginnt das Nachdenken – was dient hier wem.
Und noch etwas fiel auf : Die Bauwut, die Bauspekulation hat offensichtlich sehr umfassend und über längere Zeit den Verstand beherrscht, denn es sind insbesondere in den Vierteln Palermo und Ricoleta unendliche Kolonnen von Hochhäusern aus dem Boden gestampft worden, dicht an dicht und eng gestaffelt. Bei unserem “Spaziergang” insbesondere durch Recoleta stießen wir auf wenige Straßenviertel, in denen noch Villen und kleinere Häuser aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen, manche dieser Villen dient als Botschaftssitz oder Kultureinrichtung. Das, was sich hier früher in gleicher Form auf riesigen Grundstücken befand, mußte offensichtlich der Grundstücksspekulation weichen, denn überall wurden Hochhäuser mit 15, 18 oder 20 Stockwerken hochgezogen. Auch Kirchen wurden nicht verschont; so fanden wir eine Kirche, die von drei Seiten fast Mauer an Mauer von 14-Geschossern eingekastelt war. Offensichtlich von der Bauorgie ausgenommen und insofern einen Besuch wert dann das am südlichen Ende des Viertels gelegene Palermo Viejo. Bei den, ausgenommen die Avenidas, sehr engen Straßen in den Viertel dürfte es in mancher Wohnung tagsüber kaum einen Sonnenstrahl geben – wahrlich ein Gewinn! Wer das Grün eines Baumes sucht, muß in die Parks ausweichen oder in ein Blumengeschäft gehen, denn straßenbegleitendes Grün hat kaum eine Überlebenschance, weshalb auch wohl darauf verzichtet wurde. Daß sich in diesen Stadtteilen der wohlhabendere Teil der Stadtbevölkerung niedergelassen hat zeigen die vielfältigen Bemühungen, ihr Hab und Gut zu schützen. Vergitterte Balkone bis hinauf in den 20. Stock sind keine Seltenheit!. Zur Ehrenrettung dieses früher von den Wohlhabenden Ende des 19 Jhd. nach einer Geldfieberepedemie in ihrem ehemaligen Wohnquartier San Telmo als neue Wohnstätte gewählten Viertels ist zu erwähnen, daß je näher man an das Viertel Retiro und Centro heranrückt, desto geringer fallen die Bausünden auf.
Den Japanischen Garten und den Botanischen Garten in Palermo sollte man jedoch besuchen. Aufgrund der noch jungen Vegetationsperiode konnten beide Gärten nicht die Pracht zeigen, die man mit Blick auf die Hinweisschilder erahnen konnte, aber beide waren durch ihre Gestaltung eine Oase der Ruhe. Der Botanische Garten ließ durch seine dichte Bepflanzung an den Rändern den Straßenlärm von 8 Fahrspuren auf der einen und vier auf der anderen Seite nur noch als relativ leises Grundrauschen vernehmen. Und wenn man dann noch Schulkinder mit Zeichenmappen ausgestattet beim Besuch des “grünen Klassenzimmers” zusehen konnte, stieg der Grad der Entspannung inmitten der Hochhauswüste, denn südwestlich und westlich des Gartens türmten sich dicht hinter- und nebeneinandergereiht die Hochhäuser auf. Nicht weit entfernt liegt der Japanische Garten, weniger als der Botanische Garten von den Baukolossen erdrückt. Wasser, kleine Brücken, Inselchen, Schreine, kleine künstliche Erhebungen, angemessene niedrige Bepflanzung, zahlreiche Ruhebänke, große und sehr große Koikarpfen in dem Gewässer machten den Spaziergang zu einer Erholung.


Ein Thema, daß uns bereits am ersten Tag beschäftigte : die Grünanlagen und die Liebe der Bewohner von Buenos Aires zu ihren Hunden. Blickt man auf den Stadtplan der Kernstadt, fallen einem größere Grünflächen ins Auge; tritt man näher an diese heran, wirkt der “Gras”boden eher bräunlich, was, wie wir dann feststellten, nicht primär an unzureichender Wässerung liegt, sondern eher an einer “Überwässerung” und Verkotung durch die ungezählten Hunde dieser Stadt. Katrin als Hundeliebhaberin tat es in der Seele weh zu sehen, wie diese Tiere in einer tierfeindlichen Umwelt gehalten werden, keinen Auslauf haben, ständig an der Leine geführt werden (müssen), offensichtlich in kleinen Wohnung gehalten werden – wahrlich keine Hundeleben, wie wir es verstehen. Der einzige positive Aspekt : Hunde schaffen nicht nur Dreck, sondern auch neue Arbeitsplätze! Zahlreiche Hundeausführer sind uns im Verlaufe der Tage begegnet, in den Parks, auf den Straßen, immer einige wenige bis zu gut 20 Hunden an ihren Leinen im Schlepptau, im Rucksack offenbar Hundefutter und am Gürtel klapperten wahrscheinlich Schlüssel zu den Hundebehausungen. In den Parks wurden die Tiere dann angepflockt, angebunden und in kleinen Gruppen “freigelassen” oder spazieren/Gassi geführt. Kein Wunder, wenn sich die Vierbeiner der Stadt in den Parks täglich versammeln und entleeren. Sa machen der Park Lozama, der Park Jorge Newberry, die Plazas Republica de Chile und Republica del Uruguay und manch andere kleine Grünfläche auf den ersten Blick Lust auf einen Besuch, aber……




Der Stadtteil Puerto Madero ist einen Besuch wert. Die dort auf ehemaligen Hafen-/Speichergelände errichteten modernen Bauten sind zwar relativ hoch, aber so großzügig zueinander aufgestellt, daß sie eine faszinierende Silhouette bilden. In manchem erinnert das Bild an die Hamburger Speicherstadt, die ebenfalls von exclusiven Neubauten neu definiert wird, ohne hier offensichtlich den Versuch zu unternehmen, ein Pesosgrab in Form eines modernen Schauspielhauses zu schaufeln. Hat man auch nicht nötig, denn das teatro colon ist eine Wucht! Die moderne Fußgängerbrücke Puente de la Mujer wird nicht nur gequert auf dem Weg hinüber nach Puerto Madero, sondern von hier hat man auch einen schönen Blick auf das an der Kaimauer vertäute Segelschulschiff Fregata Sarmiento. Auf der stadtabgewandten Seite der Bebauung von Puerto Madero hat man angrenzend an die dann folgenden Grünflächen und Brackwassergebiete eine kilometerlange Promenade gebaut, an der im Abstand von etwa 100 Metern mehr oder weniger provisorische Imbissbuden stehen, mit um die Bude herum großflächiger Gartenbestuhlung. Sogar die Tourismusbehörde weist auf diesen “Besichtigungspunkt”/Attraktion mit den “Büdchen hin. Aus dem Blick geraten ist dabei aber die zunehmende Verschmutzung nicht nur der Promenade – eigentlich eine Aufgabe der Büdchenbesitzer, den Dreck seiner Kunden zu beseitigen –, sondern auch des Gewässers direkt hinter der Promendenmauer, das offensichtlich für viele Flaneure als Abfallbehälter genutzt und voller Plastikmüll liegt. Auf einen Besuch des hinter diesem Dreckgewässer liegenden “Naturparks” haben wir dann auf Rücksicht auf unsere Belastbarkeit (!) verzichtet.




Doch, es gibt auch viel Schönes in Buenos Aires! Mit Bedacht haben wir als Hotelstandort das Viertel San Telmo ausgewählt. Früher einmal das Viertel für betuchtere Bewohner der Stadt heute etwas heruntergekommen, hier liegen schön restaurierte Stadthäuser neben notdürftig am Leben erhaltenen Objekten und wenigen Neubauten; Hochhäuser kann man in diesem Viertel an der Hand abzählen. Anfangs hätten wir das als morbiden Charme beschrieben, aber nachdem wir durch La Boca gelaufen sind, ist dieses mit Leben gefüllte San Telmo eher ein Kleinod, in dem man leben kann. Altes Kopfsteinpflaster, nur umpflasterte in der Straße belassene Straßenbahnschienen, weisen auf die Historie des Viertels hin. Zahlreiche kleine Restaurants, in den man auch gut essen kann, viele kunstgewerbliche Geschäfte, immer wieder Antiquitätengeschäfte, kleine Galerien, putzige kleine Boutiquen – aber nicht unbedingt auf den gehobensten Geldbeutel abzielend – kleine Eckgeschäfte, Tante Emma Läden, Bars und Bistros mit Bestuhlung vor der Tür und fast auf der Fahrbahn prägen das Viertel, das auch abends lebt. Hier sind wir gerne umhergestromert, sind in die offenen Hinterhöfe hineingegangen, haben den Plazo Dorrego mehrfach besucht. Hier kann man sich wohlfühlen, ein Stadtviertel, in dem zwar auch kaum echtes Grün festzustellen ist, das aber einen besonderen Charme durch seine Bewohner, ein großer Querschnitt durch die Bevölkerung der Stadt mit einem größeren Anteil von Freaks, Künstlern, Lebemenschen, Studenten, ausstrahlt.






La Boca, auch ein gestandener historischer Stadtteil insbesondere früher für die Hafenarbeiter und Arbeiter in den Fleischfabriken direkt am Hafen ist fast das krasse Gegenteil. Angepriesen wird diese Region u.a. als “Geburtsort” des Tango, auch wir sind deshalb zum Caminito gewandert und dabei auf Kommerz ohne Ende gestoßen. Im Grunde verständlich, denn von dem Touristenstrom wollen möglichst viele zehren. Wie in den Führern beschrieben, auch hier tanzten Könner auf der Straße und in den Restaurants Tango, schallte uns aus allen Richtungen Tangomusik entgegen. Dem permanenten Kieberern sind wir bald entflohen. Das was von alt La Boca noch steht, sind einige wenige “Bretter”- und Wellblechbuden in einem Seitengäschen, ansonsten alles so aufgepeppt, wie der Tourist sich das vorstellt. Verlässt man die wenigen Teilstraßenzüge, wohin sich die Gäste im allgemeinen verirren, erfährt man das ganze Ausmaß der Misere – unzählige nicht mehr bewohnbare Häuser stehen in fast jedem Straßenzug, Dreck und Abfall auf und neben den Gehwegen, und was an Bausubstanz vorhanden war, benötigte fast immer auch dringend eine umfassende Sanierung. Böswillig könnte man formulieren : La Boca ist ein von der Stadt aufgegebener Stadtteil, nur notdürftig am Leben erhalten, damit die Touristen einen weiteren Anziehungspunkt haben. So ein bischen rott törnt ja viele an!? Ist böswillig und hoffentlich weit von der Wirklichkeit. Eher ist zu vermuten, daß die Wirtschaftsmisere, die Argentinien für die meisten seiner Bevölkerung seit vielen Jahren begleitet, hier besonders tiefe Spuren hinterlassen hat. Und dann ist hier noch das berühmte Stadion in La Boca zu erwähnen, das ein Straßenviertel umgreift und an drei Seiten auch von niedriger substanzarmer Wohn- und Geschäftsbebauung begleitet wird : La Bombonera, in der der angeblich berühmteste Boca Juniors Spieler Maradona einst auflief. Ist schon imposant, die steil aufragenden Tribühnenränge zu sehen. Zusammengefasst – wir waren in La Boca – das war`s dann auch.






Ja, es gab auch viele schöne Beobachtungen und Eindrücke. Heute nachmittag z.B. bei einem Kaffe auf dem Plaza Dorrego zu sitzen, sich die Sonne aufs Haupt scheinen zu lassen, den Einheimischen und einigen Touristen bei ihrer Nachmittagslektüre, dem Kaffeeplausch oder den Tangotänzern bei ihren Kostproben zuzusehen, war schön und entspannend, so wie wir es uns vorgestellt haben. Oder der Marsch zum teatro colon, der mit einer informativen Führung abgeschlossen wurde. Wir wußten zumindest bislang nicht, wie viele Architekten der Bau verschlissen hatte, wie sich die Sitzkapazität aufteilt, daß für Witwen quasi im Sousparkett am Rande Möglichkeit geschaffen worden war, den Vorstellungen beizuwohnen – bei jedoch begrenzter Sicht und angabegemäß noch schlechterer Akustik. Die in dem Bau zum Ausdruck kommende Pracht war schon sehr “beindruckend” – das soll auch so sein, schließlich sind derartige Bauwerke auch Ausdruck der Machtfülle und der Konkurrenz zu anderen Staaten. Wie überall beeindruckt die Plaza Major durch seine Größe als Mittelpunkt des jeweiligen Universums; abgesehen von den drei Bauwerken Kathedrale, Casa Rosada und dem Cabildo sowie der Pyramide de Mayo umgab dieser Platz sonst Eintönigkeit durch Funktionalbauten. Das Gesamtensemble war schön anzusehen – mehr aber auch nicht. Eher ins Auge fiel das Camp der Exsoldaten, die auf die mangelnde Aufarbeitung des Falklandkonfliktes seit langem hinweisen. Womit wir bei öffentlichen Kundgebungen wären : in den vergangenen Tagen begegneten wir immer wieder kleinen und großen Demonstrationen und Kundgebungen zu Themen der Staatskorruption, Ausbildung, Arbeit.




Eindrucksvoll (?) war festzustellen, wie wehrhaft sich der Staat gegenüber seinen Bürgern positioniert (!). Nicht nur, daß hohe Zäune den unteren vom oberen Teil des Platzes Mayor trennte und seitlich zum schnellen Absperren der Seitenstraßen entsprechende Zaunfelder bereitstanden, die Anwesenheit von einigen Dutzend Polizisten auf und am Platz sorgte nicht gerade für Wohlbefinden. Zwar ist die Casa Rosada offiziell der Präsidentenpalast, das Staatsoberhaupt hält sich hier jedoch nicht mehr auf, wozu dann diese Machtfülle demonstrieren? Und als ich dann an einer Platzseite aufgereiht eine größere Anzahl von Mannschaftswagen sah, einen Wasserwerfen stellte sich die Frage, wer hier vor wem Angst hat. Hat die Regierung Kirchner auch das Rad gegenüber der Bevölkerung überdreht? Ergänzt sei : an vielen Stellen in der Stadt und an jedem unserer bisher vier Besuchstage fielen uns die zahlreichen Uniformierten von Polizei und anderen Sicherheitsorganen auf.



Nicht alles, was wir uns ansehen wollten, war auch zugänglich. Die Manzana de las Luces ist für gewöhnliche Sterbliche gesperrt, entschädigt wurden wir, als wir auf dem Weg zur Manzana an der Stammkirche von Papst Franziskus vorbeikamen, der Eglesia de San Francisco, und einen Blick hineinwarfen. So ganz ohne die starke Pracht der Kathedrale, jedoch warfen manche der Heiligenfiguren Fragen auf : offensichtlich ganz in der Ideologie der damaligen Zeit wird ein im heutigen Südamerika ankommender Franziskaner so dargestellt, daß sich die “ungläubigen” Ureinwohnen im zu Füßen werfen! Auch der Grund, warum eine Heiligenfigur einen Totenschädel hält, erschloss sich uns nicht.


Für Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig, nicht nur in der Kathedrale neben dem Altar auf der einen Seite die Nationalfahne aufgestellt zu sehen, auf der anderen eine katholische Fahne. Trennung von Kirche und Staat? Dem entspricht wohl auch, daß die für die Argentinier wichtigste Figur im Staatsbildungsprozess, der General José de San Martin, in einer Seitenkapelle mit seinem Sarkophag prunkvoll und von zwei stummen und regungslosen Soldaten bewacht präsent ist. Es scheint, als wenn die Menschen eher hierhin “”pilgern” statt in die eigentliche Kirche.
Der alte Friedhof in Ricoleta ist eine intensive Besichtigung wert. Was sich die Hinterbliebenen da an Prunkbauten/Mausoleen – wohl auch später für sich selbst bestimmt – in den letzten gut hundert Jahren haben hinstellen lassen, kann nur so umschrieben werden : die Nachwelt soll auch nach unserem Ableben sehen, wie wichtig wir für diese Gesellschaft waren, selbst im Tod sich noch überhöhen! Dennoch, man kann sich kaum satt sehen an den Putten, Schmiedearbeiten, Verzierungen, Bauformen, bei denen die Anlehnung an klassische Tempel nicht die Geschmacklosesten waren.

Die Avenue de Mayo sind wir mehrfach entlang gelaufen – hier fällt der frühere Prunk in die Augen, die aktuelle wirtschaftliche Lage der Immobilieneigentümer erlaubt jedoch in vielen Fällen keine angemessene Renovierung – manches ist sehr heruntergekommen. Es ist eine schöne auch baumbestandene Avenue, die früher sicherlich auch einmal zu den anziehendsten in BA gehört hat, heute jedoch finden sich zahlreiche nicht sehr niveauvolle Läden die Straße hinauf und hinunter. Natürlich, alte Institutionen sind nach wie vor am Ort, wie das Café Tortoni, in dem Mensch vom Tageslicht und – lärm abgeschirmt im leicht plüschigen Ambiente seinen Kaffee, Kuchen oder Wein zu sich nimmt, umkreist von Livrierten.
Buenos Aires ohne Tango ist wohl so wie Berlin ohne Preußen. Freunde, die diese Stadt schon besucht hatten wiesen uns eindringlich darauf hin, eine Tangoshow zu besuchen. Rückblickend auf den gestrigen Abend müssen auch wir feststellen : es war die Wucht und nicht zu vergleichen mit den sicherlich auch gekonnten Amateurvorführungen auf den diversen Plätzen und Restaurants. Die Entscheidung für eine Show war nicht leicht, ist das Angebot doch unübersichtlich und kaum vergleichbar; wir erstanden schließlich für eine Abendvorstellung im Café Tortoni – dort in einem Kellergewölbe – zwei Karten und wurden von er einstündigen Show nicht enttäuscht. Mangelnde Spanischkenntnisse verhinderten, daß wir die gesungenen Texte verstehen konnten, die Handlung wurde aber tänzerisch so perfekt umgesetzt, daß wir dem Geschehen folgen konnte. Das Tempo, die Perfektion, die leichten Füße/Gelenke, die Artistik, der Wechsel von sicher nähern und entfernen, das Laszive, die Lächeln, das Privole – ein Trommelwirbel an Eindrücken, der noch durch artistische Einlagen – die Tänzerinnen und Tänzer mussten Zeit für den Kleiderwechsel haben – verstärkt wurde. Ein gelungener Abend, an dem wir beschwingt durch die sich leerende Innenstadt in unser San Telmo liefen. Und siehe da : dort pulsierte das abendliche Leben.



Fast vergessen zu erwähnen, wie farbenprächtig und kreativ gestaltet die Wände in Buenos Aires sind!? Wohltuend heben sich die vielfältigen großformatigen Graffitto von den sonst eintönigen mehr grau als sonst eine Farbe aufweisenden Wänden ab. Sicher nicht immer genehm, oft aber, wenn damit interessant Geschäftsrolläden verziert worden sind, vermutlich im Einvernehmen mit den “Betroffenen”. Oft finden sich auch Graffitti mit eindeutig politischem und sozialen Bezug, verständlich beim Blick auf die Gesellschaft.




Was gab es sonst noch in den vergangenen Tagen? Wir haben gute argentinische Weine aus der Region Mendoza getrunken, bis auf eine Ausnahme – eine als Sojasteak getarnte Schuhsohle lag auf dem Teller – immer ansprechende Küche genossen, nach dem Besuch des Museo de Bicentenario, nicht nur weil die Beschreibungen anderer Museen wenig Lust weckten, kein weiteres Museum besucht, da auch zu Hause keine Nachtschwärmer nicht ab 24 Uhr um die Häuser gezogen, also grundsolide gelebt, was anderes ist ja auch nicht zu erwarten. Was wir bislang vermissen : Weltnachrichten, die wir nicht über das Internet zusammenklauben müssen, sondern z.B. durch einen englischsprachigen TV-Newssender vermittelt erhalten.
Vier Tage Buenos Aires in diesem Großstadtmoloch waren uns genug – was mit dem letzten Tag vor Ort anfangen? Nach der teilweise so empfundenen Stadtenge wollten wir hinaus aus der Stadt; Ziele gibt es genug, aber für einen Tag bietet sich vorzugsweise eine kleine Tour nach Tigre am Delta des Rio de la Plata an, gut 30 km nördlich vom Stadtzentrum. Wer geglaubt hatte, wir verlassen die Stadt, sah sich auf dieser Strecke getäuscht. Zwar nahm die Hochhausbebauung ab – und später wieder zu – und wurde abgewechselt durch Einfamilienhaussiedlungen und andere Stadtzentren, aber so richtig aus der Stadt heraus kamen wir nie. 30km in eine Richtung! So erklärt sich auch die Zahl von 13 (oder mehr) Millionen Bewohner im Großraum der Stadt. Wir wollten an diesem Tag entspannen und alles wurde zum Erreichen dieses Zustandes getan : vor allem der Zugbetrieb Mitre, mit dessen Zug wir vom Recoletabahnhof nach Tigre fahren, leistete tatkräftige Hilfe auf dem Weg zur totalen Entschleunigung. Fast im Schritttempo zuckelten bzw. schaukelten wir auf den maroden Gleisen in Richtung Ziel, hielten unterwegs gut 20 Mal an, um nach mehr als 1 1/2 Stunden “”Zug”fahrt am Endbahnhof anzukommen. Langsam war es und unterhaltsam dazu, denn immer wieder liefen Verkaufstalente durch die Wagons und priesen ihre Waren lautstark und mit Nachdruck an, als da waren : Putzlappen, erbauliche (!) Schriften, Kaugummi, Strümpfe, Nüsse, Gebäck, eben alles, was nicht zu schwer und leicht zu transportieren ist. Tigre sollte nur Ausgangspunkt für eine Fahrt in die Insel- und Flußwelt des Deltas sein. Auf der Touristeninfo mit den nötigen Informationen ausgestattet bestiegen wir eines der quasi in Form des ÖPNV bestimmte Inseln umrundende Passagierschiffe. Ziel war eine Insel, auf der auch ein Restaurant verzeichnet war, die Rumba Negra. Nach gut 60 minütiger Bootsfahrt verließen wir das schmale Boot und folgten dem einzig ersichtlichen Weg der uns schließlich, vorbei an zahlreichen manchmal protzigen in der Regel aber einfachen Sommerhäusern mit Stegen vor der Tür, an unser Ziel, das Gasthaus “Alpenhaus” führte. Zeit für eine Rast und ein an die Heimat erinnerndes Mittagessen. Das dann Gelieferte ließ uns schnell flüchten – wir hatten einen Spinatstrudel bestellt, der nach gut einer Stunde auch geliefert wurde. Mag sein, daß er lange Zeit irgendwo herumgestanden hatte, so daß die Bechamelsoße inzwischen die Konsistenz eines Briketts hatte, der eigentliche Strudel wies zwar einige grüne Sprenkel auf, schmeckte nach rein gar nicht – und alles zu einem Preis, für den wir in der Stadt locker jeder zwei Menüs erhalten hätten. Wenn man dann den Hausprospekt in die Hand bekommt und die Selbstdarstellung sieht und liest wird einem bewußt, was Werbung so alles kann! Die Entschleunigung setzte sich fort, denn am An- und Ablegesteg warteten und warteten wir auf ein zurück in Richtung Tigre fahrendes Boot. Natürlich war kein Fahrplan angeschlagen, aber wir waren sicher, zurück an das Festland zu kommen. So geschah es auch und nach ewigem Warten im Bahnhof ruckte der Zug nach Buenos Aires langsam an und brachte uns in “Rekordzeit” von 80 Minuten zurück in die Hauptstadt. Ob es daran lag, daß der Zug und seine Wagons hoffnungslos überfüllt war oder der Zugführer zu einem wichtigen Fußballspiel wollte – wir wissen es nicht, waren aber sehr froh endlich dem Gedränge entkommen zu können.






Am Abend nahmen wir dann Abschied von unserem San Telmo, spazierten zum Plaza Dorrego, der uns aber zu laut war, um hier unseren Scheidewein zu trinken und landeten später in unserer fast schon Stammkneipe. Tschüss Buenos Aires, es war (manchmal)schön, aber auch lang genug !
