Am Morgen des 28.11. hieß es wieder die Pferde satteln und, nachdem um 10:00 Uhr die Wäsche bei der Wäscherei abgeholt war, die Zügel frei zu geben. Es stand zwar keine extrem lange Fahrtstrecke auf dem Programm, Tagesziel war das kleine Dorf Puerto Rio Tranquilo, etwa 220 Kilometer weiter südlich, da aber die Piste nach gut 70 Kilometern wieder die übliche Schotterqualität haben soll tun wir gut daran, uns erreichbare Ziele zu setzen.
Die Umgebung von Coyhaique ist wahrlich für den Natursuchenden keine Augenweide. Hier wurde, was die Landnahme angeht, vorzüglich gearbeitet und nahezu kein Baum stehen gelassen. Konsequenz ist, daß inzwischen in einigen offensichtlich auch zum Schutz gegen weitere Erosionsschäden umfangreiche Neuaufforstungen bzw. intensive Fortwirtschaft betrieben wird. erfolgt sind. Ansonsten Weideland wohin man blickt, und das über viele Kilometer Strecke.


Heute haben wir Patagonien auch von einer uns nicht unbekannten, aber so noch nicht erlebten Seite kennengelernt : es blies ein mehr als strammer Wind, so haben wir bislang noch nicht gegen den Wind kämpfen müssen. Das war so richtig Wasser auf Katrins Mühlen, ist der Wind doch nicht unbedingt ihr engster Freund. Aber offensichtlich ist es hier dauerhaft sehr windreich, und das aus einer bevorzugten Richtung, denn sonst würden die Bäume sich nicht so wie wahrgenommen entwickeln.

Lange Zeit durchfuhren wir von der Viehwirtschaft geprägte Regionen, es wurde vom Landschaftsbild immer ruhiger, runder, fast sah es schon nach einer großen Ebene aus, die Pampa war nicht weit, bis wir wieder uns mehr interessierende Landschaftsbilder um uns herum hatten.
Auch heute säumten einige Seen, insgesamt fünf, unseren Weg, nachdem wir in das Tal des Rio Simpson eingebogen waren. Und wie immer, rundum bewaldet, lagen sie ruhig da, wenn denn der stramme Wind nicht wäre. Selbst auf so kleinen Tümpeln von nicht einmal 500m Länge konnten sich dank des Windes ganz schöne Wellen aufbauen.

Inzwischen waren wir auch wieder in eine Gegend vorgedrungen, in der die Axt vor einigen Jahrzehnten nur begrenzt geschwungen wurde. Welche Auswirkungen der Komplettkahlschlag, wie er in großen Teilen Patagoniens erfolgt ist, haben kann, konnten vorher wir vielfach bestaunen. Klein fängt es meist an, wenn nur überschaubare Teile des Hanges abrutschen. Hier ist dann auch zu sehen, welch geringen Umfang eigentlich die Bodenkrume hat, wie nah unter der Bodenoberfläche das Geröll noch ist. Größere Abgänge sind nicht selten zu sehen, auch in aufgeforsteten Bereichen; hier hat dann die teilweise erfolgte Aufforstung nicht so richtig funktioniert.
Wir durchqueren den NP Cerro Castillo, fahren eine kleine Passstraße bis auf gut 1.200m hinauf. Dann geht es durch die Cuesta del Diablo einige Kilometer hinab, wobei uns rechter Hand bereits dominante Bergzacken auffallen. Wir sahen aus einem anderen als üblichen Blickwinkel die Felskathedrale des Cerro Castillo. Dann wiederum eine langgezogene Kurve und wir stehen auf einmal vor einem weiteren grandiosen Anblick bei der Fahrt ins Tal : linker Hand tauchen immer wieder bizarre Felsformationen auf, von denen wohl die imposanteste der Cerro Castillo (2.675m) ist. Leider war der Himmel stark bewölkt, und zu allem Unglück “flogen” die Wolken auch sehr tief, so daß der Anblick dieser Bergwelt immer eingeschränkt war. Nicht fünf sondern mindestens 10 Minuten habe ich einmal an einem Ort auf eine Gelegenheit gewartet, die komplette Spitze des Cerro Castillo fotografieren zu können – vergeblich. Dennoch, auch diese wolkenumsäumten Berge hatten ihre besonderen Reize und wir unsere Freude an ihrem Anblick. Nicht nur wir hielten an, um das Gesehene auch zu dokumentieren – ein Radfahrerpärchen, schwer bepackt, tat es uns gleich; zuerst hoch oben auf der Passstraße, dann vis-a-vis zum Berg.




Kurz hinter dem Ort Villa Cerro Castillo queren wir den Rio Ibanez, der sich durch ein sehr schmales Felsbett zwängt, immer begleitet von imponierenden Bergmassiven.


Etwa 7 Kilometer hinter dem Ort Cerro Castillo weist ein unscheinbares Schild auf unscheinbare einige tausend Jahre alte (8-10.000 Jahre) Felszeichnungen hin, das Nationalmonument Manos de Cerro Castillo. Teilweise in “Negativtechnik” haben sich hier vor dieser langen Zeit die Ureinwohner auf einigen Felsen verewigt. Auf einer schmalen Erdpiste gelangt man bis in die Nähe des Monuments, um sich auf dem letzten Kilometer im Schatten bergaufgehend in der gebotenen Ruhe dieser kulturhistorischen Stätte zu nähern. Zwar wird man kurz an einem Eingangshüttchen aufgehalten, um seinen Eintritt zu entrichten, das war es aber auch schon mit der Pflege des Kulturgutes. Völlig ungehindert kann man die Felszeichnungen nicht nur betrachten, sondern berühren, wenn gewünscht abpausen etc. Niemand hindert einen daran. Seltsam nur, daß eine ganze Reihe der Felszeichnungen, deren Zahl im übrigen überschaubar ist und erkennbar für uns nur aus Händen besteht, äußerst verblasst sind, das rot ist kaum noch auf dem Felsen wahrnehmbar, andere, sehr wenige, Hände sind hingegen von einem kräftigen Rot umgeben. Ist das hier ein Ratespiel, was ist richtig und tausende Jahre alt, was ist ein fake? Ich zumindest habe meine Zweifel ob der Authentizität aller dort sichtbaren Felszeichnungen. Das Problem wäre bei einem verantwortungsvolleren Umgang mit diesem Kulturgut nicht entstanden.


Was der Mensch nicht nachmachen kann, die umliegende Bergwelt, begleitete uns auch hier bei unserem Kulturausflug. Mich beeindruckte mehr die Gigantomanie der Landschaft, die Farben der Natur als das von alter oder junger Menschenhand Geschaffene.




Immer wieder werden wir von dichten Wäldern auf unserer Fahrt begleitet, treffen jedoch auch auf Gebiete, die bei einem Vulkanausbruch des Volcano Hudson vor vielen Jahren von dichtem Ascheregen bedeckt worden waren, was auch zu erheblichen Zerstörungen der Flora geführt hat. Über weite Strecken ragen nur noch stumme, entlaubte Restbaumstämme in den Himmel; drumherum bildet sich langsam eine neue Vegetation. Es sieht teilweise richtig gespenstisch aus. Dort wo möglich, wird in größerem Umfang Landwirtschaft betrieben, d.h. Kühe, Pferde und Schafe treiben sich auf den Weideflächen herum. Auch Gewässer, fast hätten wir sie nicht mehr wahrgenommen, wurden passiert wie den “Lago Verde”, dessen Wasser so gar nicht grün war, und immer wieder gab es wunderschöne Panoramen.





Den Lago Carrera hatten wir schon im Blickfeld, als ein kleines Schild am Straßenrand, ein Wunder, daß wir dieses entdeckten, auf einen “cementerio antiguo”, also einen alten Friedhof hinwies. Ich war enttäuscht, als ich mich über eine Kuhwiese auf den Weg zu diesem Friedhof gemacht hatte. Alte Grabstellen gab es so gut wie keine; einige verwitterte Holzkreuze wie auch einige “Grabhäuser”, die gleichfalls mehr morsch als intakt waren, ließen erahnen, was unter einem alten Friedhof zu verstehen ist. Die Parzellen waren fast ausschließlich mit neuen Gräbern besetzt, wobei der besondere Geschmack und die Vorliebe der Südamerikaner für Plastikblumen sehr deutlich zum Tragen kam.


Und dann lag er vor uns, der gewaltige See, der Chile und Argentinien verbindet, auf chilenischer Seite “Lago General (!) Carrera” genannt wird und auf Argentinischer Seite “Lago Buenos Aires” heißt. Dieser Lago ist nicht nur der größte Chiles – ich gehe davon aus, daß bei dieser Wertung nur der auf ihr Land entfallende Seeanteil berücksichtigt wurde –, sondern nach dem Titicacasee der zweitgrößte Südamerikas. Von dem Prädikat kann niemand sich etwas kaufen, aber das Gesamtbild See und die umliegende im Augenblick in den Höhen sogar rundherum noch weiße Berglandschaft, das kann punkten auf jeden Fall bei uns, denn wir waren und sind sehr beeindruckt.



Im Ort Puerto Rio Tranquilo kamen wir in einer ganz guten Hospedaje unter und lernten,wieder einmal, nette Mitmenschen kennen. Zwei ältere Paare, beide im Rentenalter, das eine aus England/London, das andere aus dem Westen Canadas, reisten per Bus, und zwar nicht nur drei/vier Wochen, sondern das eine (London) insgesamt zwei Jahre, das andere bringt es auf ein Jahr. Da gab es viel zu erzählen und zu diskutieren. Zum Glück war die Hospedaje mit ausreichend Wein- und Biervorräten ausgestattet, obgleich, plötzlich wurde eine Palette Bierdosen durch die Tür getragen, offensichtlich mußten die Vorräte aufgefrischt werden. Es war ein sehr langer Abend, sehr gemütliche und unterhaltsame Stunden mit Menschen, die uns gegenüber sofort sehr aufgeschlossen waren und die wir als sehr sympathisch empfanden.
Trotz kurzer Nacht hieß es am nächsten Morgen früh aus den Federn sein, denn wir hatten uns noch am Vorabend in eine Bootstour zu den Marmorkathedralen im Lago Carrera eingeklinkt. Diese berühmten Marmorkathedralen waren ja der entscheidende Grund, weshalb wir es bis hierher zu fahren auf uns genommen hatten. Diese Tour zu verpassen… nicht auszudenken. Pünktlich wie die Preußen standen wir um 9.00 Uhr am Treffpunkt und warteten! Aber nur zwei Minuten, dann kam schon unser Bootsführer mit den übrigen Teilnehmern (5) um die Ecke gefahren. Für hiesige Verhältnisse überpünktlich!
Die fast zweistündige Rundtour über den See zu den Marmorkapellen hat sich wirklich gelohnt. Es ist beeindruckend, wie die Natur es schafft, derartige Formen zu produzieren, nicht im Sandstein, sondern im harten Marmorstein. Der in unterschiedlichen Farben scheinende Marmor, mal weiß, mal grau oder leicht bräunlich, teilweise mit schwarzen oder bräunliche Schichten oder Äderchen durchzogen wirkte auf seiner Oberfläche wie fein gemeißelt; in seiner Struktur erinnert er eine an getriebene Kupferfläche. Eine Vielzahl von Höhlen war entstanden, einzelne Felsen in besonders bizarrer Form “gestaltet”. Das Wasser schimmerte teilweise bläulich, war kristallklar und bot eine tiefe Sicht. Der See soll an seiner tiefsten Stelle 600m tief sein. Das eine oder andere Kunstwerk hat die Jetztzeit nicht erreicht und ist zusammengebrochen, was angesichts der manchmal sehr dünnen Tragpfeiler auch verständlich ist. Während wir auf der Hinfahrt achterlichen Wind hatten, den wir kaum wahrnahmen, da mit Motorkraft voraus fuhren, blies uns auf der Rückfahrt der Wind stark ins Gesicht und drang durch jede Kleidungsschicht – dem einen oder anderen auf dem Boot wurde ziemlich kalt, auch Katrin brauchte anschließend Zeit, um wieder aufzutauen. Unseren drei aus Alaska stammenden Mitfahren schien das wenig auszumachen; einer der Jungs war in Bermudas angetreten, von Kälteempfindlichkeit keine Spur. Auch ein sehr nettes junges Holländisches Pärchen, ein Jahr auf einer Reise durch Südamerika, war mit von der Partie.










Sandra und Thomas hatten uns auch empfohlen, in das Valle Exploradores hineinzufahren; hier soll es nach einigen Kilometern urwüchsig sein, also eine entspannte Fahrt in typisch patagonisches Hinterland. Also machten wir uns nach unserem Seeausflug auf den Weg in Richtung Puerto Exploradores und wurden nicht enttäuscht. Natürlich brauchte es eine gute Wegstrecke, bis wir aus der total kultivierten Umgebung heraus waren, aber dann umfasste uns teilweise patagonischer Urwald. Es ging dem Rio Exploradores entlang auf schlechter Piste. Die erste wahrnehmbare Besiedlung fanden wir bei Kilometer 44, dort, wo das enge Tal sich endlich etwas aufweitete. Teilweise steil aufragende Felsen in dem engen Tal machten die Wegführung nicht leicht; oft mußte Felsen für den Weg weichen, ebenso oft konnten wir aber auch feststellen, daß der Felsen sich durch Felsstürze seinen Tribut einforderte und die Straße nicht nur demolierte, sondern vorübergehend in der Vergangenheit auch unpassierbar gemacht hatte.







Als Ziel hatten wir uns Kilometer 65 gesetzt; die vollen 75 Kilometer bis zu einem Steg am Ende der Sackstrasse, von dem aus man auf die andere Seite des Flusses übersetzen kann, um zu Fuß weiter in Richtung Gletscherfeld San Rafael zu laufen, schienen uns nicht reizvoll. An unserem Wendepunkt bestand die Möglichkeit, gegen einen kleinen Obolus, auf einen Aussichtspunkt zu gelangen, etwa 100m höher als die Strasse gelegen, um von dort aus einen Blick auf eine Gletscherzunge des Gletschers zu erhalten. Näher als bei unserer letzten Gletscherannäherung beim “Hängenden Gletscher” in NP Queulat kamen wir auch hier nicht, dennoch war der Blick sehr beeindruckend. Die Gletscherzungen war im Auslauf nicht sehr mächtig, aber wir konnten deutlich die Gletscherspalten sehen. Noch viel interessanter war die Beobachtung, welche Höhe dieser Gletscherbereich einmal gehabt haben muß, wie an den Talseiten ersichtlich war. Und unter uns türmten sich die Berge der Endmoräne auf, ja wir standen im Grunde auf einer solchen Endmoräne, inzwischen aber gut einen Kilometer (mindestens) vom Gletscheranfang entfernt. Die Möglichkeit eines “Gletscherspaziergangs” wird vor Ort angeboten; ín Begleitung eines erfahrenen Führers kann man mit Steigeisen ausgerüstet, sich ein Stündchen auf dem Gletscher bewegen. Das war nicht nur heute nichts für uns zumal noch die Weiterfahrt nach Cochrane anstand. Zum Abschied hatten wir noch das Glück, nachdem wir mehrfach bei unseren Wanderungen einen Specht gehört und manchmal auch welche gesehen hatten, diesmal einen sogar bei seiner “Arbeit” zu fotografieren.






Für den Nachmittag standen überschaubare 120 Kilometer Fahrt auf dem Programm, entlang des westlichen Ufers des Lago Carrera und dann dem Flußbett des Rio Baker folgend nach Cochrane, Ausgangspunkt eines weiteren Abstechers in den Süden. Wieder hatten wir gewisses Wetterglück, denn der anfangs bewölkte Himmel verschwand und wir hatten während unserer Fahrt wiederholt tolle Sicht auf die westlichen Bergketten. Die Weite des Sees wurde immer dann besonders deutlich, wenn wir erheblich über das Uferniveau hinauf steigen mussten. Dabei entdeckten wir immer wieder neue im See verstreut liegende Inseln. Natürlich ließen wir uns mit dem Vorankommen Zeit, hielten öfter an, als es Katrin lieb war, um das wunderschöne Panorama zu genießen. Doch dann waren wir am südwestlichen Seeende angelangt und vor uns erhob sich eine vergleichsweise große Brücke, die den Abfluß des Rio Baker, unser Begleiter nicht nur bis nach Cochrane, überspannte.




Zuerst empfing uns dann der Lago Bertrand, wie alle Seen der letzten Tage, in eine Berglandschaft eingebettet; still lag er da und wahrscheinlich nur von wenigen Reisenden so richtig im Vorbeifahren wahrgenommen. Auf und ab ging es, dem Verlauf des Rio Baker weitgehend folgend. Von patagonischen Wäldern keine Spur, Weideland wurde durchquert, ab und an lag dann auch ein kleiner Hof in Straßen-/Pistennähe. Immer wieder war es möglich, den Verlauf des zunehmend wilder werdenden Rio Baker zu verfolgen, wie die Wassermassen sich durch ein enges Flußbett zwängten. Ablenkung vom erforderlichen konzentrierten Fahren brachten ebenfalls die westlichen Bergmassive, zunehmend vergletschert und manchmal sehr schroff aufragend. Puerto Bertrand wurde passiert, ein kleines Dorf am gleichnamigen See, dessen Einwohner einerseits vom Holzeinschlag und den Folgeproduktionen andererseits von einem beginnenden Tourismus an ihrem See profitieren. Den Ort La Junta haben wir kaum wahrgenommen, obgleich es möglich ist, von hier aus zu zwei Gletscherzungen des Campo Hielo Norte aufzusteigen, auch für uns keine allzu reizende Option. Die weiteren Kilometer nach Cochrane waren kurvenreich und wenig ereignisreich. Angekommen war der erste Weg wie immer zur Touristeninformation, die jedoch geschlossen war – nur im Januar und Februar geöffnet! Also hieß es die Straßen abfahren, die wenigen vorhandenen Informationen nutzen und immer wieder anhalten und ein mögliches Quartier besichtigen. Zum Glück wurden wir schnell fündig und hatten einen guten Griff getan. Im Residencial Sur Austral fanden wir aufmerksame Wirtsleute vor, die sogar am Abend in den zentralen Räumen die Holzöfen in Betrieb nahmen, obgleich es nicht unbedingt so kalt war, daß dies erforderlich gewesen wäre – aber schön war es trotzdem; eine zu empfehlende Unterkunft bei angemessenem Preisniveau. Und am Abend trafen wir in unserer Unterkunft auch noch ein nettes Schweizer Ehepaar.




Heute, Samstag der 30.11., ist ein Tag, der mit vielen positiven Eindrücken verbunden werden wird. Wenn der Tag durch Stichworte beschrieben werden soll, könnten diese lauten : t-shirt-Tag; wahnsinniges Panorama, typischer patagonischer Wald, die Äxte haben gewütet, mehr Radfahrer als Autofahrer, Seenlandschaft, per Steg von Haus zu Haus – ein verrückter Ort.
Der Tag fing gut an; ein Blick durch den Vorhang signalisierte Sonnenschein, der nicht unbedingt erwartet worden war, denn am Vorabend hatte es zu regnen begonnen; der Regen setzte sich auch in der Nacht fort. Beste Voraussetzungen, um noch einige Kilometer auf der Carretera Austral südwärts und damit durch eine tolle Landschaft zu fahren. Unsere (meine) ursprüngliche Absicht, die Carretera bis ans Ende in O’Higgins zu fahren, hatten wir nach Gesprächen mit Sandra und Thomas in Coyhaique aufgegeben; der Endpunkt der Carretera ist wirklich ein Endpunkt, die Carretera wird hier zur Sackgasse. Auch wenn Argentinien nicht weit ist, eine Möglichkeit per Auto hinüber zu wechseln gibt es (noch) nicht. Für einige äußerst mutige und kräftige Trecker soll (!) es die Chance geben, zu Fuß und dann mit einem Boot sowie begleitet von einem ortskundigen Führer ins Nachbarland zu kommen. Dieses Abenteuer werden nur die wenigsten auf sich nehmen, zumal das Boot zur Zeit nur einmal die Woche fährt. Den uns gegebenen Hinweisen entsprechend würden wir im Grunde nichts wirklich neues und spannendes jenseits der Abzweigung nach Caleta Tortel sehen, aber gut 250 Kilometer Piste zusätzlich fahren müssen. Erfahrenen Menschen sollte man, auch wir, vertrauen, also hießt das für uns, einen Tagesausflug (Gesamtstrecke gut 260 Kilometer und 6-7 Stunden Fahrzeit) in das Örtchen Caleta Tortel zu unternehmen.
Nach gutem Frühstück und nettem Gespräch mit zwei Schweizer Reisenden ging es dann gegen 10.00 Uhr los. Schon bald war klar, heute ist T-shirt-Wetter – kaum Wind (und das in Patagonien!) und eine Sonne, die voller Kraft schien. Die Welt sieht auch direkt freundlicher bei Sonnenschein aus, auch wenn wir, wieder einmal, feststellen mussten, die umliegenden Bergspitzen waren von tiefliegenden Wolken eingehüllt. Vielleicht ändert sich die Situation auf dem Rückweg, so unsere Hoffnung, denn wir hätten gerne das gesamte Zauberpanorama genossen.

Es ging vorbei am nur 6 Kilometer hinter Cochrane liegenden Lago Esmeraldo, ein See von mittlerer Größe, klarem Wasser und einem Badestrand! Dieser dürfte nur von den Eisbären benutzt werden, denn angenehme Badetemperaturen dürfte der See auch auf lange Sicht kaum erreichen, aber er ist eine Attraktion. Bevor wir den nächsten See, den Lago Chacabuco erreichten überquerten wir eine Brücke über einen, so schien es, unscheinbaren kleinen Fluß, den Rio Salto. Ein schneller Blick zur Seite belehrte uns eines besseren – hier bahnte sich ein kräftiger Fluß seinen Weg durch den Felsen. Angehalten und ausgestiegen war eins und beim Näherkommen sahen wir einen Fluß, der in Kaskaden hinunterströmte durch eine Klamm, so daß es tobte und toste. Ein durchaus schöner Anblick, den wir auch aus der Nähe haben wollten und den Abhang zum Fluß hinunterstiegen. Eine auf der Brücke stehende Einheimische machte uns Zeichen die wir so deuteten, wir sollten dem Flußbett weiter folgen. Wir befanden uns zwar auf einem Privatgrundstück, aber kein Mensch weit und breit, also machten wir uns auf den Weg und wurden richtig belohnt. Zwar war es kein riesiger Wasserfall, den wir vorfanden, jedoch stürzte das Wasser mit solcher Macht in das schmale Becken am Flußgrund, das sich ständig hohe Gischtwolken ergaben. Ein sehr schönen Bild mit Regenbogenfarben in der Gischt.



Die ersten 20-30 Kilometer südwärts geht es durch stark gerodetes Land. Nur selten sind einzelne oder noch in Gruppen stehende Urwaldbäume zu sehen; die gerodeten Flächen wurden so langsam von einem Neuwald erobert, der eine andere Struktur und Zusammensetzung als der ursprüngliche aber gefällte patagonische Urwald aufweist. Vereinzelt wurden auch komplette Baumplantagen angelegt. Grün war es, aber, zumindest auf diesem ersten Teilstück, weit entfernt von unserem Bild, was entlang der Carretera Austral an Urwald zu sehen ist. Das sollte sich jedoch grundlegend im Verlaufe der Fahrt ändern, wir bekamen unseren Urwald zu Gesicht, öfter entlang der Strecke, sehr häufig an den Bergflanken. Mit Blick auf die gerodeten Flächen, die jedoch erkennbar keiner besonderen Nutzung anschließend zugeführt wurden, es sei denn einer kleinen Viehhaltung diente, obgleich wir kaum Viehbestände auf den gerodeten Flächen gesehen haben, erinnerte ich mich an einen Hinweis in irgend einem Reiseführer. Der chilenische Staat, er hielt sich als Eigentümer des patagonischen Landes, Rechte der Ureinwohner wurden einfach negiert, förderte die Siedlungsbewegung in dieser unwirtlichen und äußerst entfernt liegenden Region, indem er versprach, wenn das Land urbar gemacht würde, sprich der Urwald gefällt und Viehhaltung möglich sei, würde es dem die Axt schwingenden Siedler überschrieben. Kein Wunder, wenn insbesondere in den aufgeweiteten Tälern alles gefällt wurde, was im Weg stand. Es hatte auch oft den Anschein, als ob manche der Siedlungshäuser, die wir entlang der Strecke wahrnehmen konnten, aufgegeben worden sind und Neusiedler nicht nachkommen. Wie sonst kann auf einer gerodeten Fläche sich ein neuer Wald ausbreiten.




Weiter in Richtung Süden wollten und sind wir auch gefahren, um den einen oder anderen Blick auf die im südlichen Gletscherfeld liegenden Berggipfel zu erhaschen, hier und da auch den Gletscher selbst bzw. einzelne Teile oder wenigstens Gletscherzungen zu erblicken. Auf der Hinfahrt machten uns die Wolken einen Strich durch unsere Absicht, auf der Rückfahrt wurden wir dafür um so reichlicher entschädigt, bei prallem Sonnenschein hatten wir tolle Weitsicht und immer wieder mußte ich anhalten, um die Eindrücke zu dokumentieren.






Kurvenreich war die Strecke und nur manchmal wirklich eng. Verkehr bestand überwiegend aus radelnden Weltenbummlern. Etwa ab Kilometer 50 von Cochrane aus gemessen trafen wir entweder alleine, zu zweit oder zu dritt radelnd auf 7 dieser masochistisch veranlagten dennoch zu bewundernden Spezies der Radfahrer, alle mit prallen Fahrradtaschen und querliegendem Zelt bepackt. Drei Stunden später hatten sie durchweg 30-35 weitere Kilometer hinter sich gebracht. Ihr Ziel war anscheinend Puerto Yungay, gut 120 Kilometer südlich von Cochrane gelegen, um mit der Fähre nach Rio Bravo übersetzen zu können, damit die letzten 100 Kilometer bis O’Higgins in Angriff genommen werden können. Auf unserer Hin- und Rückfahrt trafen wir nur auf 6 Fahrzeuge, also war heute der Tag der Radler.

Unser heutiges Ziel, der am Canal Baker gelegene Ort Caleta Tortel, ist einzigartig oder fast einzigartig. Er zieht sich zu Füßen eines Bergrückens an diesem entlang, auf der einen Seite der teilweise steil aufsteigende Felsen, auf der anderen Seite das Wasser des Sundes. An die Stelle von Wegen sind hier Stege getreten, die sich entlang der Wasserfront um den Berg ziehen. Die Pfähle der Stege, aus Zypressenholz und somit relativ widerstandsfähig, stehen im Wasser. Auch sämtliche Häuser sind durch Stege miteinander verbunden, auch wenn sie nicht am Wasser errichtet wurden; Höhenunterschiede werden durch Treppen überwunden. Neben den Stegen stehen auch alle Häuser, gleich ob am Wasser oder auf dem Felsen gebaut, auf Stelzen/Pfosten, obgleich insbesondere in den höheren Lagen keine Überflutungsgefahr besteht. Durch diese Bauweise, die einheitlich im ganzen Dorf ist, ist Caleta Tortel zu einem Unikum geworden. Wirtschaftlich scheint sich das noch nicht so richtig positiv ausgewirkt zu haben. Zwar gibt es einige wenige Unterkunftsmöglichkeiten, aber das Gros der sichtbaren Häuser war in einem denkbar maroden Zustand, eher Ausdruck der persönlichen wirtschaftliche Lage. Dennoch, der Ort lebt. Wir passierten nicht nur eine Außenstelle der Wasserpolizei und Marine, sondern viel wichtiger, einen größeren Kindergarten und konnten ein sehr großes Schulgebäude wahrnehmen. Vieles von dem, was an öffentlichen Einrichtungen erkennbar war, konnte punkten, war in tadellosem Zustand, also eine Investition in die Zukunft des Ortes. Auch die sich an der Wasserfront entlang ziehende Steganlage dürfte eine Zukunftsinvestition insbesondere in den Tourismus sein, denn wer sollte sonst die in Abständen errichteten Pavillons bevölkern, die zahlreichen Sitzbänke mit Aussicht auf den Sund nutzen oder sich am etwas abseits liegenden und dennoch durch eine lange Steganlage mit dem Ort verbundenen Sandstrand in die Sonne legen?






Ein, wenn offensichtlich nicht sehr starkes wirtschaftliches Standbein dürfte der Ort in der Fischerei besitzen, wie einige Fischerboote belegen. Andererseits war auch erkennbar, wie zahlreiche Boote am Ufer vor sich hin vergammelten und verfielen.


Fast vergessen, es gibt auch einen Parkplatz, er befindet sich gut 60 Höhenmeter oberhalb der Wasserfront. Wesentliche Benutzer dürften die ankommenden Touristen sein, denn für den hier wohnenden ist der Besitz eines Autos eher ein Last denn eine Lust und sinnvoll.
Der heutige Tag war in jeder Hinsicht ein Gewinn, wir hatten nicht nur gutes Wetter, sondern immer wieder die Möglichkeit, Teile des nördlichen Gletscherfeldes zu sehen, fuhren an einem beeindruckenden Panorama schnee- und eisbedeckter Berge vorbei, waren in einer Art Puppenstube in Caleta Tortal und konnten den Süden Patagoniens in vollen Zügen genießen.
Am 1. Advent zeigte die Kompaßnadel nach Norden, zumindest anfangs, denn wir traten den Rückweg zum Lago Carrera an. Da unsere Schweizer Bekanntschaft aus dem Hostal ebenfalls nach Chile Chico wollte, um dort für sich zu entscheiden, an Ort und Stelle weitere Wanderungen zu unternehmen oder nach einem neuen Ziel Ausschau zu halten, saßen wir zu viert im Wagen und ließen uns abwärts treiben, natürlich nicht ohne den einen oder anderen Stop. Manchmal waren es Guanakos, die den Weg kreuzten, dann wieder ein interessanter Blick auf den Rio Baker, oder ein Gaucho, der sein Vieh vor sich her trieb. Obgleich wir alle diese Strecke schon einmal befahren hatten, sie kam uns auf dem Rückweg in Teilen unbekannt vor.




Ab Puerto El Maitén begann dann der unbekannte Abschnitt der heutigen Fahrt, die uns am Südufer des Lago Carretera fast 100 Kilometer lang entlangführte, mal ganz nah am Wasser und den Felsen entlang, mal in Serpentinen den Berghang hinauf, mal die Tiefe des Raumes sprich die Taleinschnitte nutzend und sich vom See entfernend, dann wieder galt es, sich tief in den Fels gegrabene Flüße zu überqueren. Und mit zunehmender Annäherung an das Argentinische Hoheitsgebiet begann auch die Vegetation in den Höhenlagen sich der der Pampa anzunähern, ein Vorbote auf das, was in den nächsten Stunden uns begleiten sollte. Je weiter wir nach Osten kamen, uns Argentinien annäherten, um so niedriger die Höhenzüge der nördlich des Sees gelegenen Berge, sie liefen so langsam in der Ebene der Pampa aus. Leider spielte das Wetter nicht so richtig mit, es regnete zwar nicht, aber der graue wolkenverhangene Himmel trübte die Stimmung schon ein bischen ein. So waren die umliegenden Berge nur zum Teil erkennbar, die Gletscher kaum zu sehen, die Farbkontraste gering: Trotz all dieser Einschränkungen, die Fahrt war ein Erlebnis; wir können die Hinweise bestätigen, daß dieser Teil der Strecke entlang des Lago Carrera der schönste ist. Hier steckt Abwechslung in der Streckenführung, die Blicke auf den See verändern sich, man erfährt im wahrsten Sinn des Wortes die Größe des Sees. Und darüber hinaus begegnet dem Reisender wieder einmal der lange Arm der Minenindustrie. Auf gut 600mm Höhe, d.h. etwa 300m über Seeniveau sind wohl Prospektoren fündig geworden und ein Berg wird “abgeräumt”. Hier ist man so stolz auf die Tat, daß für den Vorbeifahrenden extra ein “Mirador” geschaffen wurde, um einen Blick auf das Areal werfen zu können!








Nach gut 4 1/2 Stunden Fahrt einschließlich der notwendigen Unterbrechungen waren wir am Zielort Chile Chico angekommen und verabschiedeten unsere Schweizer Begleitung. Thomas und seine Frau werden hoffentlich im Ort gut untergekommen sein. Wir wollten die Zeit und den Tag nutzen, um über die Argentinische Grenze und zumindest bis zum Ort Perito Moreno zu kommen.
