Nachdem wir den Wagen erfolgreich an sein Ziel gebracht hatten, machten wir uns per Metro und dann bei Überlandbus nach Valparaiso auf den Weg, raus aus der mit einer Dunst- und Smogwolke überlagerten Großstadt. Nach zwei Stunden Busfahrt am Ziel, ohne bislang der Meer gesehen zu haben, dafür jedoch eine sehr trockene, fast vertrocknete Landschaft. Mit Hilfe eines Ministadtplans ging es dann vom zentralen Busbahnhof quer durch die Stadt in einer Art erstem Stadtrundgang zu unserem Quartier in der Templeman, der Casa Kultour, mitten im Barrio Concepcion und damit in dem zum Weltkulturerbe erklärten historischen Bereich.
Bereits hier konnten wir am eigenen Leib erfahren was es heißt, in Valparaiso, insbesondere in seinen alten Stadtteilen, zu leben, nämlich Treppensteigen, mehr oder weniger steile Straßen und Sträßchen hinauf- und hinabzugehen. Da weiß man, wie schwer der Einkauf war und orientiert sich hin zu den kleinen Geschäften in der Wohnumgebung. Ein erster Eindruck dieser von manchem als schön bezeichneten Stadt : Valparaiso hat etwas, versprüht eine besondere Atmosphäre, zumindest in seinen aus der früheren Blütezeit im 19. Jahrhundert stammenden Vierteln. Ob man deshalb aber Hymnen über die Stadt dichten muß, wie Pablo Neruda, der hier in einem seiner drei Häuser, der La Sebastiana, immer wieder gelebt hat, es vermochte, sei dahin gestellt. Das Valparaiso eine seiner Herzensangelegenheiten war, kann man seinen Äußerungen jedoch deutlich entnehmen.
Der Besucher der Innenstadt erlebt eine Stadt voller Leben, geschäftig, aber nicht hektisch, belebt aber nicht überfüllt, modern und aus dem 19. Jahrhundert stammend, mit sehr regem Busverkehr und oft vollen Straßen, geduldig an den Haltstellen Wartenden, fliegenden Händlern, Musikern, schöner alter Bausubstanz, oft ansprechend restauriert, oft aber auch dem Verfall preisgegeben. Je weiter man sich vom “Plan”, dem wassernahen Büro-, Verwaltungs-, Einkaufsbereich, entfernt, desto größer ist der teilweise morbide Charme der Stadt und seiner alten Viertel spürbar, in denen in großer Zahl, insbesondere auch in den unter den Weltkulturerbeschutz gestellten, die Gebäudeverwahrlosung oft sehr deutlich wird. Dies kann bedrücken, stimmt traurig, wie mit dem Kulturerbe umgegangen wird, ist aber nur die eine Seite der Stadt. Die andere Seite ist abends zu spüren, wenn gerade in diesen Vierteln nicht nur durch die Touristen, sondern vor allem durch die Einheimischen die Plätze und Gassen belebt werden.
Dieser Lebensfreude entspricht die oft sehr farbenfrohe Gestaltung der Häuser, seien sie noch so klein, sanierungsbedürftig oder vom Verfall umgeben. Hier hat man Mut zur Farbe, die ganze Farbpalette wird abgearbeitet, nicht nur Einheitspastelltöne fallen bei einem Rundumblick ins Auge.
Valparaiso ist die Stadt die, so heißt es, auf 42 Hügeln gebaut wurde. Wir haben uns nur den im historischen Innenstadtbereich befindlichen gewidmet, vor allem wurden die Barrios Santo Domingo,Concepcion, Allegre,Pantheon, Bellavista und Carcel durchstreift. Auf alten Bildern von Mitte des 19. Jhd. kann man erkennen, daß es kaum eine Hügelbebauung gab, verständlich, denn Valparaisos Blütezeit kam erst noch. Der Hafen als Umschlagplatz hatte bis zur Eröffnung des Panamakanals eine große Bedeutung und war ein wesentlicher Grund für das Aufblühen der Stadt. Aus dieser Zeit Ende des 18. Anfang des 19. Jhd. stammen die allermeisten Bauten, in Hafennähe oft extrem repräsentativ, oft erinnernd an Gründerzeitbauten in ihrer Wuchtigkeit, auf und an den Hügeln in exponierter Lage riesige Villen der Begüterten, im weiteren Umfeld dann auch die Häuschen von nicht so betuchten Bürgern. Alten Bildern ist zu entnehmen, daß zuerst auf den Bergrücken gebaut wurde, um anschließend sich den Hang hinab zu arbeiten. Beeindruckend, wie man es geschafft hat, auf dem felsigen Untergrund manche Objekte zu errichten. Manchmal mussten meterhohe Mauern hochgezogen werden, um ein Baufundament zu erhalten, manchmal gab es nur einfache Balkenkonstruktionen, auf denen dann das oft kleine Haus steht. Hin und wieder scheinen die Häuser wie ein Schwalbennest an den Bergen zu kleben. Zahlreiche Treppen verbinden die unten liegenden Häuser mit den auf dem Hügelrücken verlaufenden Straßen oder es werden Treppenfluchten bis ins “Tal” geschaffen. Es scheint es, als sei alles mit allem irgendwie verbunden.
Valpo hat viele Besonderheiten, eine der herausragendsten sind jedoch seine “ascensores”, kleine Seilbahnen, bei der sich zwei Kabinen gegenläufig hinauf-oder hinabziehen. Die älteste von 1883 überbrückt einen Höhenunterschied von vielleicht 50 Metern im Stadtteil Concepcion und erspart den Benutzern den Gang über eine schier nicht enden wollende Steintreppe. Nicht alle dieser in den Plänen verzeichneten ascensores sind aktuell in Betrieb, verständlich, denn sie wurden im wesentlichen bis Anfang 1900 gebaut und werden seitdem nahezu unverändert in Betrieb gehalten. Natürlich erfolgen auch technische Überprüfungen. Einer Panne bei der Durchführung einer solchen Prüfung muß im vergangenen Jahr ein Altertumsstück zum Opfer gefallen sein, denn durch einen Fehler bei der Befestigung der Seile rauschte eine Kabine im Test in die Tiefe; dieser ascensor wird wohl nicht mehr eröffnet werden. Über den Spuren anderer wächst, da seit langem außer Betrieb gesetzt nicht nur das Gras, sondern ganze Büsche und Bäume. So reduziert sich nach und nach die früher einmal 42 betragende Zahl der aktiven Seilbahnen. Es wäre schade, wenn diese Bestandteile der Baukultur und des Lebens in den Vierteln endgültig von der Bildfläche verschwinden würden. Wir sind mit verschiedenen der ascensores gefahren und fühlten uns sicher; erstaunlich dann der Hinweis des Außenministeriums, man solle aus Sicherheitsgründen von der Benutzung dieser Seilbahnen absehen! Das rief auch bei Oliver mehr als nur ein Schmunzeln hervor, eher war es völliges Unverständnis für derartige Hinweise.
Auch Valparaiso war, zuletzt 2010, immer wieder von mehr oder weniger großen Erdbeben betroffen, wurden Gebäude zerstört, weniger dort, wo auf den Granitfelsen gebaut wurde, sondern insbesondere im Bereich des vor den Hügeln liegenden Plan, dem im wesentlichen in den letzten 150 Jahren neu gewonnenen, dem Meer abgerungenen Land. Hier stand/steht die alte Markthalle, heute nur noch als Gerippe der Außenmauern, Folge des letzten Erdbebens.
Manche Institution der Stadt hat die Zeit gut überlebt, ohne sich dabei grundegend geändert zu haben wie z.B. das Lokal Cinzano an der Plaza Anibal Pinto. Tritt man hier ein, wird man um viele Jahrzehnte zurück gebeamt. Das Interieur erinnert nicht nur an die 30er Jahre, es stammt aus dieser Zeit, die Bilder an der Wand, oft von Künstlern, aber auch Stadtansichten, zeugen von einer vergangenen Epoche. Und irgendwie passen die um die 70 Jahre alten Kellner und Barmänner mit ihren grauen Haren, dem kräftigen Bierbauch auch dazu. Eine Institution in der Stadt, von der es noch viele gibt, man muß sie nur entdecken.
Hatten wir in Santiago den Eindruck, uns in der Stadt der Grafittokünstler, dem Zentrum der “Bewegung” zu sein, müssen wir uns nach unserem Besuch von Valparaiso korrigieren. Hier prangt an fast jeder Ecke ein nicht immer sehr gelungenes Graffito. Unscheinbare Ecken erhalten dadurch besondere Aufmerksamkeit, werden “sinnvoll” genutzt und zeugen auch von der Lebensfreude in der Stadt.
Valparaiso hat zwar seine große Bedeutung als Hafenstadt für den Warenverkehr verloren, an deren Stelle ist jedoch der Besuch zahlreicher Kreuzfahrtschiffe getreten, bei deren Ankunft und vor allem Abfahrt sich viele Menschen an der Muelle Prat einfinden, um die riesigen Ungetüme zu bestaunen und zu verabschieden. Dann ist heftiges Gewusel auf dem Kai, umfahren kleine Boote mit Gästen die weißen Dampfer.
Im Verlaufe einer Stadtrundfahrt mit der Linie 612, die über zahlreiche, insbesondere die historisch bebauten Hügel der alten Innenstadt fährt, besuchten wir auch busfahrend Vina del Mar. Diese Stadt hat wohl das Glück, im wesentlichen in einer Ebene sich entwickeln zu können. Während in Valpo Hochhäuser eher selten zu finden sind, alte Bauten das Stadtbild der Innenstadt prägen, reihen sich in Vina die Betonklötze aneinander. Wenn diese Stadt ein Gesicht haben soll, wir haben es nicht gesehen. Demgegenüber weist Valpo ein eindrucksvolles wenn auch teilweise geschundenes Gesicht auf, das sehr ausdrucksvoll und vielfältig ist und zu langem Erkundungsgängen einlädt.
Von Oliver bekamen wir den Hinweis, daß in einer im Stadtteil Alegre befindlichen anglikanischen Kirche (ca. 1850 errichtet), jeden Sonntag ein kleines Orgelkonzert auf der historischen Orgel stattfindet. Wir besuchten das kleine Konzert, vor dessen Beginn der Organist erst einmal Hand an die Orgeltechnik legen musste, um das alte Instrument seinen Bedürfnissen entsprechend einzustimmen. Und dieser Anstrengung mit anschließendem Orgelkonzert folgten nur knapp 50 Personen! Herausragende Museen befinden sich nicht in der Stadt, heißt es. Kürzlich wurde jedoch auf dem Cerro Alegre das Museo de Bellas Artes in einem restaurierten Palast, dem Palacio Baburizza, wieder eröffnet. Nach Aussagen von Oliver zwar gut gefüllt mit Landschafts- und Portraitmalerei des 18. und 19. Jhd., bemerkenswert seien jedoch die, leider, wenigen Stadtansichten aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das mit einer wunderbaren Aussicht auf den Hafen ausgestattete Gebäude war uns schon bei einem früheren Spaziergang durch das Barrio aufgefallen, nun konnten wir den Blick auch aus seinem Inneren heraus genießen. Die Gemäldesammlung muß man nicht unbedingt besucht haben, die alten Stadtansichten waren den gut einstündigen Rundgang wert.
Eigentlich wollten wir ja auch den Strand von Valpo genießen; uns war aber entgangen, daß dieser sich nicht in Zentrumsnähe befindet; die Badesachen hatten wir vergeblich mitgenommen.
Die beiden Tage in Valpo waren völlig ausreichend, um einen guten Einblick zu erhalten, interessant war es, hier herum zu laufen, anstrengend durch die vielen Hügel teilweise auch. Nett waren die Menschen, hilfsbereit. Nicht nur einmal wurden wir darauf hingewiesen, nicht mit der Kamera in der Hand in einen bestimmten Teil von Santo Domingo, dem alten Hafen nah gelegen, zu gehen, wenn wir auch danach noch fotografieren wollten. Aufmerksam!
Damit verblieben uns noch zwei Tage bis zum Abflug auf der Osterinsel, in denen wir unsere Rücksäcke beim Autovermieter abholten, Wäsche waschen fuhren, unser Päckchen mit Literatur zu den nächsten Reisestationen bei unserer alten Sprachschule entgegen nahmen und viel im Internet zu der übernächsten Station, französisch Polynesien, recherchierten. Unsere Planung ist ja rollierend, d.h. die Infos zur nächsten Station beschaffen wir uns – leider – immer dann, wenn sie benötigt werden. So steht jetzt Tahiti und die umliegenden Inseln auf dem Programm. Ergebnis der Recherche ist, neben der Insel Tahiti auch auf eine weitere der Gesellschaftsinseln, Huahine, zu fliegen. Also Flüge suchen, mit unserem Anflug nach Tahiti abstimmen, Quartiere suchen und reservieren. es war genug zu tun am letzten Tag vor unserem Abflug aus Südamerika, der sich dann noch, aus nicht mitgeteilten Gründen kurzfristig um 3 1/2 Stunden verschob. So konnten wir den 9.1. gemütlicher als ursprünglich vorgesehen, angehen.
Ein besonderes Erlebnis in Santiago muß an dieser Stelle erwähnt werden : bei unserem Kurzbesuch bei unserer Sprachschule, um ein hierhin adressiertes für uns bestimmtes Päckchen abzuholen, wurden wir laut, mit Freude und unseren Vornamen begrüßt. Das hätten wir nicht gedacht, daß sich Lehrer, Chef und Sekretärin nach so langer Zeit an uns erinnern.
Was ist das Fazit unserer Monate in Chile und Argentinien?
Wir sind im Verlaufe der Wochen vielen netten Menschen begegnet, Reisenden wie wir aber auch zahlreichen Chilenen und Argentiniern, Es war überraschend und schön festzustellen wie hilfsbereit die Menschen waren. Selbst Autos hielten an um zu fragen, ob sie uns helfen könnten. Die gesehenen Landschaften, ganz gleich ob Berge, Wüste, Seen, Meer, Wiesen und Wälder, Fjorde und Flüsse waren sehr beeindruckend und für uns einzigartig, oft auch atemberaubend schön. Es fällt schwer, aus der Vielzahl der Erlebnisse und Eindrücke die drei herausragendsten zu benennen, Katrin hat andere Präferenzen als ich, aber einig sind wir, das diese Wochen eine echte Bereicherung waren und es wert war, hier diese Wochen verbracht zu haben. Menschlich enttäuscht wurden wir, abgesehen von der Bestätigung unseres Vorurteils über Autoverkäufer, nie. Natürlich muß man bei einer so langen Reise und den vielen Stationen damit rechnen, nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, nicht jeder Wandertraum z.B. erfüllte sich. Dennoch, so viel gewandert und uns in der immer wieder anders sich darbietenden Natur wie auf diesem Kontinent haben wir bislang noch nicht, auch dies ist ein besonderer Gewinn unserer bisherigen Reise. Schön war es hier, wenn auch nicht jeder einzelne Tag das besondere Highlight brachte, es waren aber unzählige Höhepunkte, die wir nicht missen wollen. In der Summe aller Tage sind wir mehr als zufrieden und glücklich.
Nach vier Monaten Südamerika, ein Monat Sprachkurs und drei Monate Rundreise in Chile und Argentinien freuen wir uns, andere Kulturkreise kennen zu lernen.