Talca, das Maule Tal und der Parque Nacional Altos de Lircay

Der Himmel meinte es bei unserer Abreise aus Pucón gut, es nieselte und regnete zu Beginn, also kein toller Blick auf die Bergwelt möglich. Ganz im Gegensatz zu unserer Stimmung, wir waren gespannt, was Talca, gut 650 Kilometer Fahrstrecke weiter nördlich und in Schlagdistanz zu Santiago zu bieten hat. Auf Talca sind wir aus zwei Gründen gekommen : zum einen kann man von hier aus bis zur Mittagszeit, unser Abgabetermin für den Wagen, Santiago erreichen, zum anderen befinden sich in der Nähe mehrere interessante Nationalparks, wobei die Parque Nacional Altos de Lircay uns besonders zusagt.

Nach 6–stündiger Fahrt waren wir am Ziel und checkten am frühen Nachmittag in unserem Hostel ein. Als gegen 19:00 Uhr uns der Hunger plagte machten wir uns auf den Weg zum nahe gelegenen Plaza de Armas, bislang immer ein Ort an dem oder in dessen näherer Umgebung ausreichend Restaurants sich befanden. Auch in Talca mit seinen mehr als 200.000 Einwohnern gingen wir davon aus, fündig zu werden. Wir liefen eine Vielzahl von Straßen rund um den zentralen Platz ab, alle Restaurants waren geschlossen. Ein Kino hatte zwar geöffnet, das benachbarte Restaurant verweigerte sich dem Gast. Nach fast einer Stunde ergebnisloser Suche kehrten wir zum Hostel zurück, vielleicht wußte der Concierge Rat. Dieser schickte uns in eine nahegelegene Straße, in der in der Tat sich zahlreiche Restaurants befinden, jedoch heute alle geschlossen. In unserer Not und mit mehr als nur einem Loch im Bauch besannen wir uns einer Systemgastronomie, die rund um die Uhr jeden Tag im Jahr geöffnet hat, ein “Restaurant”, um das wir sonst immer einen großen Bogen machen. Aber heute schien uns das die einzige Möglichkeit zu sein, nicht mit großem Hungergefühl ins Bett gehen zu müssen. Also stiefelten wir, ausgehend von unserem Hostel, über das wir die Adresse dieses Spitzenrestaurants erfahren hatten, gut 14 Blocks ostwärts und drei Blocks nach Norden. Wir hatten uns nicht geirrt – es kann alles zusammenbrechen, MD hat immer auf und wartet auf sein Geschäft. Groß war der Umsatz mit uns nicht, wir beschränkten uns auf das Allernotwendigste und verließen schnell, zumindest leicht gesättigt, den Tatort.

Es war für uns eine völlig neue Erfahrung, am Neujahrstag in einer Großstadt überall auf geschlossene Lokale zu treffen. Wohl auch deshalb war in der Stadt nicht nur am frühen Abend kaum jemand unterwegs.

Den 2.1. widmeten wir neben einem Stadtrundgang insbesondere weiteren Recherchen zu unseren nächsten Zielen und vor allem dem Versand nicht mehr benötigter Reiseliteratur und unserer Schulbücher. In Santiago wartet bereits ein Karton mit Reiseführern unserer nächsten Stationen. Man mag es kaum glauben, aber der Versand unseres Buchkartons mit etwas über 11 Kg Gewicht kostete so viel, daß wir dafür auch fast 3 Nächte in unserem Hostel, zugegeben, diesmal stimmte der Preis wirklich mal, hätten schlafen können.

Ganz aus unserem Gedächtnis gestrichen war die Information in 2010, in dem ein sehr starkes Erdbeben vor der Küste Chiles insbesondere die Region um Talca heftig getroffen und zu immensen Schäden geführt hatte. Anfangs wunderten wir uns über die auch in der Innenstadt befindlichen zahlreichen Adobehäuser, die leer standen, teilweise keine Dächer mehr besaßen, manchmal zwar von weitem “gesund” aussahen, bei näherem Hinsehen aber von tiefen Rissen im Mauerwerk überzogen waren. Eine stattliche Anzahl von Innenstadtgrundstücken lag brach, war eingezäunt, das Unkraut wucherte. Eigentlich in exponierter Lage nicht verständlich. Aber nicht nur Adobehäuser waren baufällig, auch eine größere Anzahl stattlicher moderner (Schule) oder repräsentativer Bauten (Bank) war gesperrt, die Türen verschlossen, die Fenster teilweise verbrettert oder es gähnte den Betrachter ein großes oft helles Loch entgegen – Licht kam von oben, dem Himmel. Information über die Stadt brachte dann die Erklärung, das Erdbeben in 2010. Wie wir erfuhren, mußten zahlreiche Bürger ihre einsturzgefährdeten Häuser aufgeben, sollen jedoch nicht der Stadt den Rücken gekehrt, sondern sich in den Randbezirken niedergelassen haben. Eine Flucht aus der – gefährdeten – Stadt habe es nicht gegeben. Was jetzt noch fehlt ist ein erkennbarer Einsatz, die noch vorhandenen zahlreichen Schäden dauerhaft zu beseitigen.

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Unser Reiseführer aber auch die eingeholte Auskunft im örtlichen Tourismusbüro bestärkte uns in der Entscheidung, noch einmal in einen Nationalpark wandern zu gehen. Nächstgelegen ist der Parque Nacional Altos de Lircay, d.h. wir müssen gut 60 Kilometer anfahren, um an die Berge und die Anden zu kommen. Unsere Fahrt führt uns über San Clemente in Richtung Osten in ein kleines Tal, an dessen Ende – fast Ende – das Örtchen Vilches Alto liegt. San Clemente muß man eigentlich  noch der Weinbauregion im Mauletal zurechnen, denn zahlreiche sehr große Weinbaubetriebe säumen die Straße hierhin. Wir hatten zwar von der besonderen Qualität der hiesigen Weine gehört, heute jedoch etwas anderes vor und verzichteten auf die zahlreichen Möglichkeiten einer Weinprobe im Umland von Talca. Was dann aber bei der Einfahrt nach San Clemente sehr befremdete war die “Begrüßung” durch eine auf dem Mittelstreifen aufgebaute alte Flak, die gegen Westen, d.h. Talca zeigte. Ein Weinfass oder wegen des ebenfalls ausgeprägten Obstanbaus ein Symbol dieses Wirtschaftszweiges hätten wir noch verstanden, aber ein Flakgeschütz? Gegen wen richtet es sich, wer soll hier geschützt werden? Geschmacklos und verirrt.

Langsam ließen wir den landwirtschaftliche geprägten Bereich hinter uns, fuhren stetig bergauf und wurden nach und nach vom Wald umgeben und trafen dabei wieder einmal auf einige Gauchos, die einige Rinder vor sich her trieben, eine staubige Angelegenheit.

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Bei der Parkverwaltung am Parkeingang informierten wir uns über die Wanderrouten. Unterschiedlich lange Strecken standen für einen Wandertag zur Auswahl; wir entschieden uns, zum etwa 2.300m hoch gelegenen Basaltplateau El Enladrillado zu wandern, einem Ort mit weitem Blick auf und in die umliegenden Andenberge; die Wanderzeit mit angegebenen 8 Stunden passte noch in unseren Zeitplan, denn wir hatten in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung machen können, teilweise erheblich vor den vorgegebenen Zeiten am Startort zurück zu sein. Eine Zusatzoption gab es durch dieses Ziel, bei genügend Zeitpuffer und Lust bestand die Möglichkeit, den Rückweg über die auf 2.200m gelegene Laguna Alto zu wählen. Während wir auf unseren vergangenen Wanderungen durch Nationalparks kaum andere Wanderer angetroffen haben, hier waren doch einige unterwegs, meistens voll bepackt mit Zelt, Schlafsack und Isomatte, Kochgeschirr etc. um einige Tage auf einem der beiden unten im Tal befindlichen CONAF-Campingplätzen zu verbringen. Hier waren dann auch manchmal Familien unterwegs, bei denen erkennbar das eine oder andere Familienmitglied sehr früh unter der Last und dem ansteigenden Weg gelitten hat. Als es dann nach gut 1 3/4 Stunde so richtig bergauf ging, waren wir dann allein unterwegs. So lange wir im Schatten des urwüchsigen Lenga- und Roblewaldes wanderten, lief zwar wegen der großen aber noch auszuhaltenden Hitze auch Schweiß, aber in Grenzen, auch wenn wir nicht gerade bummelten. Doch nach einer weiteren halben Stunde waren wir aus dem Schutz des Blätterdaches heraus und spürten die volle Kraft der Sonne. Ein leichtes Lüftchen brachte etwas Kühlung. Zur Hitze kam dann noch ein immer schlechterer Weg, ein Steig, der immer wieder vorgaukelte, bald hätten wir den Bergsattel erreicht. Nach dreieinhalb Stunden standen wir dann endlich in praller Sonne auf dem Plateau und konnten die wirklich ungewöhnliche Aussicht genießen. So richtig weit sehen konnten wir zwar nicht, dafür waren dann die umliegenden Berge, Bergketten und Vulkane doch zu mächtig, aber die Blicke ins Tal, auf die abwechslungsreichen sichtbaren Felswände, die umherliegenden und den Abhang markierenden Basaltbrocken entschädigten für den vergossenen Schweiß. Als wir dann noch, leider weiter entfernt, einen Kondor in seinem Flug ohne einen Flügelschlag dahingleiten sahen, war der Tag perfekt, wenn nicht noch ein Rückweg durch die Sonne anstehen würde. So interessant der Rückweg über die Laguna Alto auch erschien, wir hätten dann 2 zusätzliche Stunden in der prallen Sonne gehen müssen, wogegen wir uns aus Vernunftsgründen entschieden. Zügig ging es dann auf bekanntem Weg zurück, auf dem wir im Talabschnitt auch zahlreichen wandernden Campern begegneten, von denen einzelne bereits nach einer guten Stunde wandern ziemlich platt am Wegrand saßen. Nach etwas mehr als 5 1/4 Stunden Wanderung meldeten wir uns dann beim Parkranger ab und fuhren zurück nach Talca. Das war dann sicherlich die letzte Wanderung während unserer Reise auf chilenischem Festland. Das nächste Mal werden wir auf Rapa Nui die Wanderschuhe anziehen dürfen.

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Den Abend verbrachten wir damit, unser Gepäck so zu richten, daß unser Handgepäck das Notwendige für den Kurzabstecher nach Valparaiso enthält, der Rest muß in unseren beiden Rucksäcken verstaut werden. Was anfangs als Problem erschien, stellte sich später als fast leicht zu lösende Aufgabe heraus – alles fand seinen Platz, man muß sich halt von Überflüssigem trennen.

Wir hatten die Wagenrückgabe für den 4.1. gegen 12:00 Uhr vereinbart und starteten deshalb bereits um 07:30 Uhr. Für die 250 Kilometer bis zur Hauptstadt viel Zeit, da wir aber kein ausreichendes Kartenmaterial zur Stadt besitzen und uns den letzten in der Stadt verlaufenden Streckenabschnitt aus einem Routenplaner herausgezogen hatten ohne zu wissen, ob dieser Vorschlag zielführend ist, war uns ein größerer Zeitpuffer sehr recht. Und diesen brauchten wir auch. Offensichtlich sprechen Routenplaner und diejenigen, die für die Ausschilderung vor Ort zuständig sind, nicht ausreichend miteinander. Sobald wir die eigentliche Autobahn verlassen mussten, uns dabei auch an den Kilometerangaben des Routenplaners orientierten, waren wir aufgeschmissen. Die aufgezeichneten Ortsangaben existierten nicht, wir fuhren ab der Stadtgrenze Santiago im Blindflug. Die in Stadtrandnähe ersichtlichen Ortsteilangaben brachten uns auch nicht weiter, denn wir konnten diese nicht zuordnen. Nach mehr als einer halben Stunde Irrfahrt endlich ein Hinweis auf die Richtung ins Zentrum. Da kennen wir uns aus, für den Innenstadtbereich haben wir eine Straßenkarte. Wie stark sich Santiago in der Fläche ausbreitet, haben wir dann in der folgenden 3/4 Stunde im wahrsten Sinne des Wortes erfahren können, bis wir uns endlich auf bekanntem Terrain befanden. Bis wir den Wagen an seinem Bestimmungsort abgeben konnten, leider erst um 12:10 Uhr, sind wir fast volle zwei Stunden durch die Stadt gefahren, hatten wiederholt erheblichen Frust entwickelt und mehr als einmal die wilden und rücksichtslosen Raser in der Stadt mit Schimpfwörtern belegt. Alles ging gut, wir konnten den roten Flitzer nach exakt gefahrenen 20.300 Kilometern ohne Beanstandung dem Vermieter zurück geben. Dreckig, voller Staub war er und wir hatten die letzten Stunden ganz schön geschwitzt. Tschüss, der Toyota war ein verlässlicher und hinsichtlich seines Spritverbrauchs mit seinen 2,4l Hubraum genügsamer “Begleiter”. Damit endet hier in Santiago unsere Rundreise per Auto, jedoch nicht unsere Zeit in Südamerika, denn vor dem Weiterflug nach Rapa Nui werden wir noch einen Abstecher nach Valparaiso unternehmen.

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