Zwei Sichten des gleichen Sachverhalts.

Chile und Argentinien sind Nachbarn; sie waren nicht immer friedlich miteinander, aber seit vielen Jahrzehnten ist es ruhig – nur an der Oberfläche?

Wie das bei Grundstücksnachbarn vorkommt, daß man sich über die Gestaltung des Zauns oder den korrekten Standort streitet und nicht nur ärgert, ist bekannt. Aber unter zivilisierten Nationen im 20. Jhd. noch über Grenzfragen sich in die Haare zu bekommen, befremdet. Von uns in Europa wohl nicht bemerkt, aber Anfang der 90er Jahre war es kurz davor, zwischen beiden Ländern zu knallen; Argentinien ließ die Muskeln spielen und nur auf Vermittlung des damaligen Papstes kam es 1998 zu einer von beiden Seiten auch schriftlich fixierten Übereinkunft. Wie man zu dieser steht, zeigen die offiziellen oder halboffiziellen Veröffentlichungen auf beiden Seiten. Es scheint, als ob Argentinien sich mit Tatsachen nicht abfinden kann oder will, es an der Souveranität fehlt, Fakten zu akzeptieren. Ähnlich wie in der Falklandfrage/den Malvinas glaubt man, die Fakten durch Wiederholung sehr einseitiger Behauptungen aus der Welt, zumindest aus den Köpfen der eigenen Bevölkerung zu schaffen und diese u.U. für neue Abenteuer begeistern zu können.

Worum geht es? Die im folgenden wiedergegebenen Kartenausschnitte, links aus Chile, rechts aus Argentinien, unterscheiden sich nur durch eine kleine Linie bzw. die im Kartenmaterial enthaltenen Informationen/Hinweise . Betroffen ist das Gebiet zwischen dem Cerro Fitz Roy und dem Cerro Murallón/Daudet, also eine kalte, eisige, von wenigen Menschen bewohnte Gegend in einem der schönsten Gebiete Patagoniens :

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Hier stritt man sich jahrelang, ob der Grenzverlauf über den Gipfel z.B. des Cerro Fitz Roy verläuft oder, wie die Argentinier es gerne hätten, weiter westlich. Als wenn die Entwicklung des Landes oder sein Schicksal von dieser Frage abhängen würde. In den argentinischen Publikationen und Karten werden Fakten geschaffen, d.h. eine Grenze festgelegt, obgleich man in der Übereinkunft von 1998 gemeinsam festgelegt hat, daß über die tatsächliche Grenzziehung zu einem späteren Zeitpunkt eine einvernehmliche Lösung gefunden werden soll. Demgegenüber wird in Chile und den dort vertriebenen Karten zwischen den besagten Eckpunkten keine Grenzlinie gezogen, sondern deutlich gemacht, daß hier ein Dissens zwischen beiden Ländern besteht, der später geklärt werden soll. Die einen wollen Fakten schaffen, als ob  dies in der Zukunft ihnen eine bessere Ausgangsposition bieten würde, die anderen gehen souverän mit der Frage um.

Auf der gleichen Ebene liegt die Darstellung Argentiniens hinsichtlich der territorialen Ansprüche an der Antarktis. Die hier vorliegenden Motive liegen auf der Hand, die dort vermuteten Bodenschätze. Zum Glück gibt es eine, zeitlich befristete, Übereinkunft aller Anrainerstaaten und weiterer Nationen, auf eine Ausbeutung der Bodenschätze in dieser ökologisch höchst empfindlichen Region zu verzichten. Zu hoffen bleibt, daß man es endlich vermag, dieser Übereinkunft eine generelle und unbegrenzte Gültigkeit für alle Nationen zu verschaffen. Argentinien hofft natürlich, ein Stück von dem Bodenschatzkuchen abbekommen zu können und weitet seine Gebietsansprüche beträchtlich aus, zumindest in den Darstellungen argentinischer Karten. Im Vergleich dazu die Darstellung aus Chile (links) :

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Ohne überhaupt beurteilen zu können, welche Ansprüche welche Berechtigung haben ist für mich allein entscheidend, wie stellt man die eigenen Ansprüche im  Kontext von Drittansprüchen dar. Aus der chilenischen Darstellung ist ersichtlich, daß bei einem Teil des “Kuchenstückes” Argentinien Ansprüche angemeldet hat, es also nicht abschließend geklärt zu sein scheint. Im übrigen sind es ja nur Ansprüche und kein Besitz! Ganz anders die argentinische Darstellung. Danach handelt es sich bei dem “Kuchenstück” bereits um einen Teil der Feuerlandprovinz. Selbst für Laien erstaunlich festzustellen, daß Argentinien es vermag, nicht von dem im äußersten Westen gelegenen Landfetzen zum Südpol eine seinen Anspruch im Westen abgrenzende Linie zu ziehen, sondern auch diese weiter in den Westen verlagert. Hier ist Konfliktstoff gegeben.

Satiriker würden auf den Taschentuchtest verweisen, um eine Aussage über den Zustand Argentiniens im Vergleich zu Chile zu treffen. Während bei Verwendung eines normalen Papiertaschentuches argentinischer Herstellung man sich direkt in die Hand schneuzen kann, denn das Ergebnis ist auch unter Verwendung des Taschentuchs nicht besser, bleibt bei einem chilenischen Papiertaschentuch die Hand trocken, die Qualität des Taschentuchs überzeugt.

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