Am Morgen des 24.1. nahmen wir unseren Camper in Empfang, klein, handlich, übersichtlich und, wie wir merkten, nur mit begrenzter Staufläche ausgestattet. Irgendwie erstaunlich, wie eine über Jason’s vermittelte Buchung bei der Firma Pure Motorhomes NZ landet, die den Auftrag an eine Tochterfirma, Kiwi Campers. weitergibt, damit wir zu guter Letzt das gebuchte Modell mit dem vereinbarten Baujahr von “happy camper” erhalten. Es scheint, als ob alles mit allem zusammenhängt. Was außen drauf steht, sollte uns nicht stören, entscheidend ist, ob wir das Bestellte auch erhalten. Das ist der Fall, zudem scheint unser Camper vor kurzem beim Innausbau einer Generalüberholung unterzogen worden zu sein.
Während der Erledigung der notwendigen Mietvertragsformalitäten kamen wir mit dem Agenturchef ins Gespräch. Natürlich fragten wir nach den Auswirkungen der Erdbeben in 2010 und 2011, wie es den Menschen heute ginge. Man konnte merken, wie schwer es ihm fiel, kein trauriges Gesicht zu machen, die Tränen standen ihm in den Augen, so sehr belastete ihn noch heute, fast drei Jahre nach dem letzten Erdbeben die Situation in der Stadt. Erst als wir selber am folgenden Tag durch die Innenstadt gelaufen waren konnten wir die ganze Tragweite und die deutliche Trauer des Agenturchefs wirklich nachvollziehen.
Dann hieß es, sich auf den Linksverkehr einstellen. Zum Glück sitzt das Lenkrad auf der rechten Seite, dies hilft bei der Orientierung. Zu Anfang wird noch mehr mit dem Scheibenwischer geblinkt und mit dem Blinker die Scheibenwaschanlage in Betrieb gesetzt, aber nach einigen Kilometern schleift sich das auch ein. Sich in einer Stadt mit starkem Verkehr an den Linksverkehr zu gewöhnen hält die Konzentration hoch.
Unseren ersten Campingplatz hatten wir im Vorfeld ausgesucht; ein Kiwi-Campingplatz mit sehr gutem Standard, einer tollen Anlage, etwa drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und einem netten und auskunftsfreudigen Betreiber. Den Rest des 24.1. nutzten wir Lebensmittel für die kommenden Tage einzukaufen und uns mit dem Camper vertraut zu machen. Manches wurde erst hierhin, dann dorthin verstaut, alles fand aber am Ende seinen Platz. Nur mussten wir uns fragen, wie es drei Personen, denn der Wagen ist für diese Anzahl Reisender ausgelegt, schaffen, nur dass Allernotwendigste an Kleidung unterzubringen und dann auch noch die dritte Schlafgelegenheit, bei uns der geborene Ablageplatz, nutzen zu können. Sei es drum, uns reicht es, auch wenn die vielleicht 5 qm Fläche ohne Fahrerkabine schon sehr beengt sind.
Am Samstag den 25.1. machten wir uns auf den Weg, die Innenstadt von Christchurch, durch die Katrin am Vornachmittag schon einmal kurz gegangen war, kennenzulernen.
Christchurch, zweitgrößte Stadt Neuseelands, wird oft als die englischste Stadt des Landes bezeichnet. Gegründet 1850 ist sie keine wirklich alte Stadt, wie auch die Besiedlung Neuseelands durch Europäer nur knapp fünf Generationen zurück liegt. Viele in den letzten Jahrzehnten des vorvergangenen Jahrhunderts entstandene Gebäude weisen einen engen Bezug zu England auf, nicht nur, daß sie aus Stein gebaut wurden, sondern die gesamte Architektur war ziemlich britisch. Zu Wohlstand durch die Schafbarone gekommen, wurde dieser Reichtum auch gezeigt. Verständlich, wenn dann auch der die Stadt durchströmende Fluß Avon genannt wurde, die bzw. eine Universität Canterbury University heißt, die angelegten Parkanlagen den britischen Anlagen sehr nahe kommen. All dies und noch viel mehr wollten wir sehen, hatten im Hinterkopf den Englandbezug von Christchurch. Ausgeblendet waren die Auswirkungen der beiden letzten Erdbeben. Zum einen wurde nach unserer Erinnerung über das Beben in 2010 in den deutschen Medien so gut wie nichts berichtet, das starke Beben in 2011 war dann eine kurze Berichterstattung wert, denn dabei verloren weit über 100 Menschen ihr Leben. Die durchfahrenen Vororte hätten mit ihren Klinkerbauten aber insbesondere mit ihren Vorgärten ebenso gut irgendwie im Mutterland sein können, vieles enorm gepflegt, der Rasen, wenn es denn einen gab der so genannt werden konnte, kurz geschoren, Rosenstöcke als Beete und Einzelpflanze, Hortensienbüsche in jeglicher Farbe. Aber unser Ziel war ja die Innenstadt.
Nach einem strammen Spaziergang, unterbrochen bei einem Outdoorausrüster, um eine Rucksackschnalle zu kaufen, gegangen sind wir mit dem Ersatzteil sowie zwei Merinopullovern – wenn man schon im Land der Schafe ist …-, erreichten wir eine riesige Parkanlage, den Hagley Park, nach unserer Einschätzung mit den Ausmaßen 1 auf 1,5 Kilometer. Einige Baumalleen spendeten Schatten, ansonsten gab es eine satt grüne Rasenfläche, die für die unterschiedlichsten Sportarten genutzt wird, insbesondere aber für Kricket. Auf unserem Rückweg konnten wir mehreren parallel stattfindenden Spielen von Kricketmannschaften zusehen, ohne dabei den tieferen Sinn des sportlichen Tuns überhaupt zu erfassen.
In den Hagley Park hinein ragt der Botanische Garten der Stadt, durch den auch der Avon fließt. Vor etwa 100 Jahren wurde das Gelände von einem Rechtsanwalt der Stadt gestiftet; nach unserer Erinnerung geht sogar die eigentliche Parkanlage auf den Gönner zurück. Zahlreiche Themengärten können besucht werden, vor allem aber sind eine sehr große Zahl damals angepflanzter äußerst unterschiedlicher Bäume inzwischen zu stattlichen Exemplaren herangewachsen, dominieren die Anlage und sind Blickfang. Erkennbar wird der Garten von den Bewohnern angenommen, wie die zahlreichen Spaziergänger zeigten. Touristisch genutzt wird der Avon, denn auf einer Art Stocherkahn können sich Gäste von den Bootsführern den Fluß hinauf und hinabfahren lassen. Aber auch normale Wassersportler nutzen das Bächlein.
Dann standen wir vor dem Canterbury Museum, an das sich einige Ende des 19. Jhd. gebaute Gebäude der Universität anschließen. Das Museum war aber weniger unser erstes Ziel am Rand der Innenstadt, sondern das in der Nähe befindliche Gelände des Busker Festival, bei dem über eine ganze Woche weit über einhundert Veranstaltungen meistens umsonst und draußen stattfinden. Am heutigen Nachmittag mühten sich Kleinkünstler und Comedians insbesondere um die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen.
Zwei Straßenblocks weiter beginnt dann die eigentliche alte Innenstadt. Eine kleine Broschüre der Touristeninformation hat alle für sehenswert angesehene Orte aufgelistet und kurz beschrieben. Am Schluß einer jeden Kurzdarstellung gab es dann einen Hinweis auf den aktuellen Zustand (due to earthquake currently closed; under repair; earthquake damaged). Erst später wurde uns bewußt, daß die komplett zerstörten und abgerissenen Gebäude gar nicht mehr erwähnt worden waren. Wir hatten gehört, einige Gebäude sind durch die Erdbeben in Mitleidenschaft (!) gezogen wurden, einiges musste abgerissen werden, an vielen Stellen ist bereits Neues entstanden oder wird gebaut, d.h. vorgewarnt waren wir. Was wir dann aber sahen, erschreckte uns, machte uns sprachlos und auch traurig. Zyniker würden darauf hinweisen, daß die Erdbeben endlich für genügend Parkplätze in der Stadt gesorgt hätten, denn auf den unzähligen Brachflächen waren zumindest vorübergehend Parkplätze ausgewiesen worden. Zahlreiche Häuser standen zwar noch, waren aber gesperrt, Zutritt verboten. Hier ist über das Schicksal wohl noch nicht entschieden worden. An den Giebelfassaden einiger noch aufstehender Gebäude war sichtbar, wo sich die anschließende Bebauung einmal befunden haben musste. Es war bedrückend, das Ausmaß der Zerstörung mit eigenen Augen zu sehen. Wenn wir schätzen, daß 50 Prozent der Innenstadtbebauung verloren ist, erscheint dies uns noch sehr optimistisch. In manchen Straßenkarrees steht nur noch ein in der Regel sehr neues Gebäude. Zahlreiche auch öffentliche Gebäude wie z.B. die Stadthalle, das Theater sind geschlossen wegen der Bauschäden; auch historische Brücken über den Avon müssen saniert werden. Beim Weg durch die zerstörte Innenstadt kann man immer wieder in Baugruben hineinschauen, im Grunde sind die Objekte nur bis auf die Fundamentplatte abgetragen worden. Christchurch hatte auch einmal eine wunderschöne alte Kathedrale; hier ist ein Teil des Kirchenschiffes eingestürzt, ob eine Sanierung erfolgt, ist noch nicht geklärt. Das frühere Teacher’s Training College, ein im gothischen Stil gehaltener großer prachtvoller Baukomplex aus dem Jahr 1930 war von Bauzäunen umstellt – Einsturzgefahr. Der Viktorianische Glockenturm, deren früheste Teile auf das Jahr 1859 zurückgehen, war erheblich beschädigt; man hatte gerade die Tragkonstruktionen erneuert. Das hinter dem Glockenturm stehende Art Deco Gebäude von 1935 wird wohl ebenfalls abgerissen werden müssen. Die Reihe ließe sich durch viele Beispiele fortsetzen, die wenigen stehen für das Ganze. Wir hätten großes Verständnis, wenn die Bevölkerung ein Trauma erlitten hätte, aus der Stadt weggezogen wäre. Wie uns unser Campingplatzbetreiber erzählte, geht man mit Optimismus an den Wiederaufbau heran. Motto, ihr Deutschen habt nach dem Weltkrieg doch auch euer Land wieder aufgebaut, wir werden das hier auch schaffen. In gewisser Weise zeugt auch der Aufbau einer aus Containern bestehenden Einkaufsstraße am Rande der alten Innenstadt, die am heutigen Samstag stark besucht wurde, man versucht einen Neuanfang und läßt sich nicht unterkriegen.
Unten stehende Infotafeln fanden wir in der Innenstadt. Zum einen wird darauf dokumentiert, an welchen besonderen Gebäuden in der Innenstadt inzwischen Sanierungsmaßnahmen eingeleitet bzw. bereits abgeschlossen sind (Stand September 2013 fast 100 Gebäude), zum anderen ist ersichtlich, welch große Flächen einer neuen Bebauung zugeführt werden müssen.
Nicht alles wurde zerstört, einiges ist noch oder wieder in Betrieb, so fahren einige historische Straßenbahnzüge wieder durch die Stadt, die Mutter aller anglikanischen Kirchen in Neuseeland, St. Michael an All Angels Church aus dem Jahre 1872 steht offen, das Canterbury Museum kann besucht werden und die alten Boat Sheds am Avon River werden immer noch als Bootshalle genutzt.
Nicht gerade beschwingt, sondern ziemlich nachdenklich wanderten wir nach einigen Stunden Stadtspaziergang zurück zu unserem Campingplatz. Es bleibt zu hoffen, daß die Bewohner Christchurch sich nicht unterkriegen lassen.