Muß man in Invercargill gewesen sein? Vor 150 Jahren sicherlich, denn damals hatte die Stadt im äußersten Süden der Südinsel eine gewisse Bedeutung. Aber heute, dazu kann man sich erst nach einer ausgiebigen Besichtigung äußern. In diesem Ort sind wir gestern gelandet weil er auf der Strecke liegt und einen zentralen gut ausgestatteten Campingplatz besitzt. Damit sind vorerst unsere Wünsche erfüllt. Nachdem uns aber beim Einchecken die Campingplatzbetreiberin von der Stadt viel Positives berichtet hatte entschieden wir, da ja kein Zeitdruck besteht, am Vormittag die Innenstadt zu erkunden und den Nachmittag im ebenfalls sehr lobend erwähnten Ort Bluff, 30 Kilometer südlich von Invercargill zu verbringen.
Die Stadt kann auf eine mehr als 150-jährige Geschichte blicken; der im Zuge der Urbarmachung des Landes entstandene gewisse Wohlstand aus dem Holzverkauf bildete die Basis für die Stadtentwicklung ab den 80er Jahren des 19. Jhd. Viele Bauten stammen aus dieser Zeit, also Grund, sich auf den Weg zu machen. In dem zwischen Gala und Tay Street sowie Dee Street und Queens Drive liegenden Viertel kann man den wesentlichen Kern des alten Invercargill vermuten. Hier findet man das Civic Theatre von 1906, zahlreiche ehemalige Geschäftshäuser, alte Bankgebäude, das noch intakte Railway Hotel, das WEA Gebäude von 1912 und zahlreiche weitere historische bzw. in den Augen der Stadthistoriker und Stadtvermarkter bedeutsame Gebäude, die alle angepriesen, auf die hingewiesen wird und die man besucht haben sollte. Eine Vielzahl von Baustilen ist für den Fachmann erkennbar, das geht von Art Deco bis zur Viktorianischen Architektur. Wir waren unterwegs und haben den Innenstadtbereich sowie die sehr großen direkt am Rand der Innenstadt liegenden Parkanlagen durchlaufen und waren – enttäuscht! Nicht von den Grünanlagen, hier kann man nur neidisch sein, wie großzügig deren Gestaltung ausgefallen ist und allen zur Verfügung stehen. Gewiß, manches Gebäude wurde sehr professionell restauriert und strahlt aus, wird entsprechend genutzt. Bei vielen anderen wurde in vielen zurückliegenden Jahrzehnten allerhöchstens der Pinsel zur Kosmetik geschwungen, Bauschäden sind unübersehbar. Dem entspricht dann auch oft die Nutzung der Erdgeschossflächen, Hochwertiges haben wir selten bemerkt. Ehemals schöne Fassaden und Arkaden sind durch die überbordenden Reklametafeln verschandelt worden, vieles wirkt in keiner Weise schön, ansprechend, sondern sehr gewöhnlich. Wie in vielen Städten wurden Baulücken gefüllt, ohne dabei an das Stadtbild, sondern vor allem an den Ertrag aus dem Grundstück zu denken. Die extrem große Zahl zur Vermietung anstehender Geschäftslokale in der Innenstadt lässt auf begrenzte Kaufkraft im Ort und Umland schließen. Auch durch den Ausbau der kleinen Universität, die einige der innenstadtnahen Gewerbebauten inzwischen nutzt, konnte man wohl bislang nicht den Impuls für eine deutlich bessere Stadtentwicklung setzen. Das Gesamtbild fällt entsprechend aus. Wir liefen gut drei Stunden durch die Straßen und waren von dem Vorgefundenen ziemlich enttäuscht, deshalb unser Fazit, bis auf geringe Ausnahmen muß man nicht wirklich in Invercargill gewesen sein.
Die Ausnahmen : die Parkanlagen, das Southland Museum & Art Gallery und der sehenswerte Watertower aus 1888. Für das Museum muß man Zeit mitbringen, um von den Exponaten und den Schautafeln über Geschichte des Landes, die Schätze der Natur, die gefährdeten Arten hier im Land, das Leben in den “roaring forties unterhalb der Antarktis”, um einige der Themen zu nennen, aber auch von den in der Galerie ausgestellten Bildern großen Nutzen zu ziehen. Die Hoffnung, einen Kiwi in freier Wildbahn zu sehen, hatten wir nie, denn der Vogel ist mehr als scheu und primär nachtaktiv; schön, hier im Museum zumindest mit ausgestopften Exemplaren Bekanntschaft gemacht zu haben. Dieser Besuch war ein Gewinn wie auch der anschließende Gang zum Watertower, dem man seine Funktion auch nicht beim zweiten Blick ansieht.
Der Ort Bluff wird als der älteste dauerhaft bewohnte Ort Neuseelands genannt, ist Ausgangshafen für die Überfahrt zu den Steward Islands und war früher der wichtigste Hafen im Süden Neuseelands. Früher bezieht sich dabei auf das Ende des 19. Jhd., als insbesondere das hier in Massen geschlagene Holz gen Australien verschifft wurde. Bluff liegt auf einer weit in das Meer hineinragenden kleinen Halbinsel, die eine große Bucht auf westlicher Seite umschließt. Den Stadtvermarktern und der Campingplatzbesitzerin Glauben schenkend, den Ort sollte man nicht verpassen, strebten wir am Nachmittag dorthin. Um das Ergebnis mit einem Kalauer zusammenzufassen : Bluff war ein Bluff. Hier und da stehen als “Heritage” bezeichnete Kulturgüter noch, ihr Zustand ist in fast allen Fällen bedauernswürdig. Charme hat das Nest nicht, wie sollte es auch, als kleine Massengüter abfertigende Hafenstadt ohne besondere Arbeitsmöglichkeiten, sieht man von der in der Nähe liegende Aluminiumschmelze einmal ab. Fährt man durch die Straßen trifft man auf eine große Zahl leerstehender, zum Verlauf stehender, in verwahrlostem Zustand befindliche Häuser; auch die gewerblich nutzbaren Objekte stehen eher leer als das sich ein Mieter gefunden hat. Hier ist man wohl ziemlich am Ende, nicht nur am fast südlichsten Ende der Südinsel. Ein trauriger Ort, der nur aus der Vogelperspektive glänzen konnte.
Einzig der Blick über das Meer hinüber z.B. nach Steward Island, etwa 8 Kilometer entfernt, die Küste entlang, hinüber zu den Leuchttürmen entschädigte etwas für den Bluff, dem wir aufgesessen sind.
Da wir somit schneller als geplant unser Besichtigungsprogramm abgeschlossen hatten, ging es am späteren Nachmitttag weiter auf der südlichen “scenic route” nach Riverton, auch ein kleiner Hafenort, der aber im Gegensatz zu Bluff lebt, wo offensichtlich, wohl auch bedingt durch den wunderschönen Strand, die Wirtschaft etwas besser läuft. Hier ließen wir den Tag auf einem strandnahen Campingplatz auslaufen.