Wellington

Nachdem wir am Vortag uns im Feierabendverkehr durch einen kleinen Teil der Hauptstadt gequält hatten, wollten wir am 20.2. uns die Stadt und einige wichtige Einrichtungen in Ruhe ansehen. Wellington ist eine sehr bemerkenswerte Stadt, dicht gedrängt im Kern, geprägt von Hochhäusern, und extrem weitläufig besiedelt, wenn es in die Außenbereiche geht. 200.000 Einwohner wollen untergebracht werden; das Umland bietet hier viele extrem reizvolle Lagen, am Wasser, in den Bergen mit mehr oder weniger Aussicht, in der Natur. Daß dies dann am Morgen und Nachmitttag zu endlosen Blechkarawanen führt, ist uns aus der Heimat zur Genüge bekannt. Die vorhandenen Eisenbahnverbindungen schaffen so scheint es, nur teilweise Entlastung. Erstaunlich viele in der Innenstadt Beschäftigte waren am Abend in entsprechend sportlicher Bekleidung auf dem Rennrad in Richtung heimischen Herd unterwegs; sie fuhren direkt neben den Autokolonnen auf der Bundesstraße, natürlich behelmt und oft auch schneller als die PKWs.

Wellington soll ein breit gefächertes kulturelles Angebot aufweisen; nur einen ganz kleinen Ausschnitt haben wir in Anspruch genommen. Das Museum of New Zealand Te Papa  Tongarewa, kurz Te Papa, ist nicht nur in einem modernen, Aufmerksamkeit findenden, die Hafenskyline prägenden Neubau untergebracht, sondern ist die Möglichkeit, sich einen umfassenden, sehr fachkundig präsentierten Überblick über die Geschichte des Landes zu verschaffen.

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Ganz wichtig für uns aber wohl auch für das Museum und seinen Anspruch ist die umfassende Einbindung und Berücksichtigung der Geschichte vor der Besiedlung durch Europäer. Der Geschichte der Moari wird ein sehr großer Raum eingeräumt; für uns ebenfalls ein wichtiger Aspekt für dieses Besuch. Ich kann mich nicht erinnern, daß das Bonner Haus der Geschichte, in dem ein ähnliches Projekt realisiert worden ist, für jeden Besucher ohne Eintritt (!) offen steht. Hier wird keine Gebühr erhoben; dementsprechend groß ist auch der Zuspruch; erkennbar nicht in der Überzahl sind die  ausländischen Besucher.

Die Themenvielfalt ist so groß, daß es schier unmöglich ist, an einem Tag sich alle Themen zu erschließen. Wir waren gut 4 Stunden aktiv unterwegs und danach für weitere Information nicht mehr aufnahmefähig. Man kann daraus nur die Empfehlung ableiten, sich an unterschiedlichen Tagen hierhin zu begeben. Neben dem Ausstellungsteil der sich mit der Kultur der Maori befasst, ihrem politischen Kampf um politische und gesellschaftliche Teilhabe, haben wir viel Zeit im Themenbereich der Besiedlung durch Europäer, die Staatsbildung und insbesondere im naturkundlichen Bereich verbracht. Im letzteren wurde mehr als plastisch vor Augen geführt, welch dramatische Eingriffe von Menschenhand das ökologische Gleichgewicht zerstört hat, die Artenvielfalt auf der einen Seite drastisch verringerte, auf der anderen Seite durch die Einfuhr von Tieren und Pflanzen im Land selber wieder erhöhte. Uns Außenstehenden ist kaum bewußt, wie viele Tierarten und Pflanzen hier erst im 18./19. Jhd. heimisch gemacht wurden, wie wenig von der ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt noch vorhanden ist. Und nicht immer war der Tier- oder Pflanzenimport sinnvoll; das “Experiment” mit dem stoat ist bekanntlich ganz groß in die Hose gegangen und jährlich werden Millionen aufgewendet, um die Ausbreitung des stoat zu verhindern, seine Anzahl zu verringern. Neuseeland war vor Ankunft der ersten Menschen vor etwa 1000 Jahren zu 95% bewaldet, so denn eine Waldentwicklung möglich war. Glaubten wir bislang, erst durch die europäischen Einwanderer, die zur Schaffung von Weideland aber auch zum Holzexport die Bäume massenhaft fällten, sei die großflächige Waldvernichtung erfolgt, lernen wir in der Ausstellung, daß bereits die Moari, um Land für ihren Nahrungsmittelanbau zu erlangen aber auch das Nutzholz benötigten, insbesondere durch Brandrodung im Verlaufe von Jahrhunderten den Waldbestand auf 55% reduziert hatten. Für den Unkundigen, wie wir es sind, besteht hier ein gewisser Widerspruch zu dem bislang Gelernten, wonach die Maori ihr Leben auf den Einklang mit der Natur ausrichteten, ihr Glaube viele Bezüge zu Naturphänomenen aufzeigt, die Erde wie auch die Elemente eine große Bedeutung für sie besitzen. Im Zuge der Kolonialisierung wurden dann weitere 30% des Bestandes vernichtet und erst später erkannte man die Folgen, die dieser Raubbau verursachte, Verlust der Bodenkrume durch Erosion, Landrutsche etc., so daß bereits im 19. Jhd. zielgerichtete Aufforstungsaktionen erfolgten. Ein ehemals fast unberührtes Land wurde im Verlaufe der Jahrhunderte insbesondere in Weideland und somit die Basis für weltweiten Fleisch- und Wollexport transformiert. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die beiden folgenden Bilder beziehen sich auf bestimmte Baumarten, die, wie die jeweils rechte Bildseite zeigt, inzwischen ganz bzw. weitgehend vernichtet worden sind.

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Bis 1840 war das Gebiet des heutigen Neuseeland im Besitz der Ureinwohner, der Maori und, soweit diese ihr Land nicht an Siedler verkauft hatten, deren Eigentum. Eine übergeordnete staatliche Hoheit gab es im Grunde nicht, bis durch den Vertrag von Waitangi zwischen den Vertretern der Maori und der britischen Krone vereinbart wurde, daß das Land nominell eine britische Kolonie wird. Im Gegenzug wurde den Maori zugesichert, den “Briten” gleichgestellt zu werden. Nach Ansicht der Maori wurde jedoch gleichzeitig zugesichert, daß die Maori in ihren Bereichen auch weiterhin die Herrschaft ausüben können und nach ihren Regeln leben und handeln. So lange wie die Zahl der Siedler überschaubar blieb und die von diesen beanspruchten Ländereien relativ gering waren, gab es keine Probleme. Berichtet wird, daß um 1850 lediglich 22.000 europäisch stämmige Menschen in Neuseeland dauerhaft lebten. In dem Maße jedoch, wie der Landhunger der Siedler und der Schafsfirmen stieg, ergaben sich Konflikte, die bis hin zu Kriegen gegen die Maori-Bevölkerung in bestimmten Regionen führten. Und nicht immer waren die Siedler und England der Sieger! Die Maori schwächten ihre Schlagkraft teilweise durch Konflikte zwischen den einzelnen Stämmen. Bemerkenswert, wie die Stammesführer es dann schafften sich so zu verständigen, daß sie einen eigenen “König” wählten, der sie, unterstützt durch eine Art Parlament, gegenüber der Kolonialmacht vertrat. Ebenso bemerkenswert, wie man ab Mitte des 19.Jhd. durch die Gründung zweier Zeitungen versuchte, auch auf diesem Gebiet der eigenen Stimme mehr Geltung und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zudem diente das Instrument Zeitung auch dazu, die Einigkeit untereinander zu fördern. Obgleich im Vertrag von Waitangi die Maori den Siedlern gleichgestellt waren, die Kolonialmacht unternahm alles, um die eigenen Interessen in jedem Fall durchzusetzen. Die Maori, in Stämme und Clans gegliedert, kennen kein Privateigentum an Land, vielmehr gehört dies allen, d..h. nicht ein einzelner kann seinen Anspruch an Dritte verkaufen, sondern alle müssen zustimmen. Für die landhungrigen Siedler und Schafsfirmen ein Problem, das deren Expansionsbestrebungen kräftig einbremste. Abhilfe wurde durch Gesetze geschaffen, die immer nur die Kolonialinteressen berücksichtigten. Um Landverkäufe “leichter” möglich zu machen wurde z.B. das Gesetz erlassen, wonach kein Landeigentum besteht, wenn dieses von 10 oder mehr Einzelpersonen geltend gemacht wird. In diesem Fall fällt das Land der Krone zu und kann von dieser weiter vergeben/verkauft werden. Da das Land dem Stamm/Clan gehörte, war dies das geeignete Enteignungsinstrument und zugleich die Grundlage für die schnelle Expansion der Schafindustrie. Das Landthema beschäftigt noch heute die Menschen und ist ein wesentliches Grund für das schlechte Gewissen der Nachfahren ehemaliger Kolonialherren.

Maori besitzen eine andere Gedankenwelt als wir westlich erzogenen Menschen, so unser Eindruck. Ähnlich wie unsere Sagenwelt besteht natürlich auch in diesem Kulturkreis eine Vielzahl von Sagen, mit denen die eigene Existenz, die Entwicklung, das Entstehen der Stämme, die Konflikte, die Natur und ihre Phänomene etc. umschrieben oder erklärt wird. Gerne hätten wir hier mehr als nur Fragmente der Sagenwelt der Maori kennen gelernt, die sich stark auf die Natur bezieht. Einen Zugang zu ihrer Welt haben wir nicht erhalten und gefunden. Stattdessen konnten wir jedoch die wunderschönen Versammlungshäuser, mythische Gestalten, Gebrauchskunst etc. bestaunen.

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Der Erstbesiedlung durch “Auswanderer”/Entdecker aus dem polynesischen Raum wird angemessener Platz eingeräumt. Für den Laien interessant zum einen das Experiment mit einem nachgebauten Zweirumpfboot unter Anwendung historischer Navigationsmöglichkeiten, um damit die Möglichkeit der Besiedlung z.B. aus Richtung der Gesellschaftsinseln zu unterfüttern, zum anderen durch die Präsentation eines maßstabsverkleinerten Nachbaus dieses Bootes. Der Mut der Abenteurer/Forscher wurde belohnt, die Reise gelang.

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Dem Neuseeland der Neuzeit haben wir uns nicht zugewandt, nur noch einen kurzen Blick in die Geschichte der Einwanderung an Hand von Familiengeschichten geworfen, dann war unsere Aufnahmefähigkeit vollständig erschöpft. Bei einem längeren Aufenthalt in Wellington hätten wir sicherlich Te Papa erneut einen langen Besuch abgestattet.

Der anschließende längere Gang durch die engere Innenstadt verlief, übertrieben formuliert, ohne Sicht der vorhandenen Sonne, denn die Straßenschluchten waren oft wirklich solche durch die hoch aufragenden modernen Bauten. Bemerkenswert, daß bei diesen Bauten keine Einheitsarchitektur in Form von Beton und Glas zum Zuge kam, sondern vielfältige Gebäudeausprägungen, –formen und Materialien bei der Ausführung Berücksichtigung fanden. So war die “Hochsicht” ziemlich abwechslungsreich, während sich im Erdgeschoß wie überall austauschbare Ladenlandschaften ausbreiten. Wellington kann man mit Recht als eine moderne Stadt bezeichnen, leben möchten wir hier dennoch nicht. Enorme Hektik haben wir zwar nicht verspürt, auch Grün ist in erkennbarem Umfang vorhanden, aber stundenlange Fahrten zur und von der Arbeit, die nicht saubere Luft, die Masse Menschen lassen uns das Leben in angemessener Entfernung zu solch einer Stadt vorziehen.

Einen Überblick über eine Stadt verschafft man sich am besten von oben. Wellington ist von Hügeln umgeben, also bietet sich die “Besteigung” eines Hügels an. Hier wird einem der Weg zum Ausguck abgenommen, der seit 1902 seinen Dienst verrichtende Cable Car (im Grunde sind es zwei, die sich in der Mitte der Strecke passieren) schafft bis zu 100 Personen je Fahrt auf den Kelburn Lookout. Als erstes fiel uns auf, welch schönen Ausblick die Studenten haben, und vor welcher Kulisse sie ihren Hochschulsport ausüben können, denn Institute und Sportanlage liegen direkt unterhalb des Lookouts. Was wir bei der Einfahrt in die Wellington Bucht von der Fähre aus bereits erkennen konnten, die Großstadt zieht sich weit um die Bucht herum, weist auf der eher südlicheren Seite Geschäfts- und Wohnbauten auf, während am östlichen Teil der Bucht die schmutzige Industrie wie z.B. Chemie angesiedelt sind. Daß das Te Papa ein prägendes Gebäude ist, von Wasser aus sehr klar zu erkennen, bestätigte sich gleichfalls aus der Vogelperspektive.

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Vom Endpunkt der Cable Car Bahn kann man den Wellington Botanic Garden besuchen, der auf einem Gebiet von 25 Hektar von hier oben bis hinunter in die Stadt ein großes Spektrum an Bäumen, Büschen, Blumen etc. in einer Vielzahl von Präsentationen bis hin zur Anlage von Lady Norwood Rosegarden aufweist. In einem fast dreiviertelstündigen Spaziergang sind wir durch in geschlendert. Den Abschluß dieser Grünanlage bildet der Bolton St. Memorial Park, der sich über den Motorway 1 hinüber Richtung Stadt bis zum Gebäude der Zentralbank fortsetzt. Auf diesem Teil der Anlage stehen unzählige alte Grabstellen und Grabdenkmäler; die Anlage selber läßt vermuten, das es sich um einen alten Friedhof handelt, da Grabreihen ebenso erkennbar sind wie auch die übliche Form der Gräber, und nicht um einen Ort, an dem von woher auch immer die Grabsteine verstorbener Stadtbürger zusammen getragen wurden.

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Im unteren Stadtbereich angekommen umrundeten wir fast vollständig das Parlamentsgebäude, streiften Regierungssitze und steuerten so schnell wie möglich auf den waterfront walk am Hafen entlang zu. Hier waren im Verlaufe der Jahre einige Neubauten entstanden, jedoch hat man es auch verstanden, einige der alten Lagerhallen und Hafengebäude zu restaurieren und einer neuen Nutzung zuzuführen. Natürlich drängeln sich hier Gastronomiebetriebe, aber auch Anbieter von Wassersportgeräten und –ausrüstung waren auszumachen. Es war richtig belebt hier, nicht nur Flaneure waren unterwegs, auch die verschiedenen Cafés, Bistros, Gaststätten waren gut besucht. Hubschrauberflüge scheinen immer beliebter zu werden, zum Leidwesen der Menschen auf dem waterfront walk. Auf der Queens Wharf, direkt vor den Ruhe und Entspannung suchenden Gästen, starteten und landeten zumindest zwei Hubschrauben im etwa 10 Minutentakt. Auch eine Art, den alten Hafen zu beleben. Künstler haben ebenfalls eine sehr kleine Heimat in Hafennähe gefunden, denn aus Minicontainern heraus können sie ihre Kunst verkaufen. Ganz entspannt und völlig entschleunigt gingen wir am alten Hafen entlang zu unserem am Museum geparkten Camper. Dabei fiel uns eine kleine Bronzetafel an einer Hafenmauer ins Auge, die von der hier im WWII festgesetzten Pamir handelt. Auch hier haben wir dazu gelernt.

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Gemeinsam mit dem Feierabendverkehr rollten wir gegen Abend dann langsam die Nationalstrasse 2 in Richtung Norden. Ziel war Masterton, gut 100 Kilometer nordöstlich gelegen.

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