Keinen Wind gibt es hier in Neuseeland nicht, daran haben wir uns gewöhnt. Auch gestern Abend wurde es auf Grund des stetigen Windes ganz schön kühl. Aber das die Temperatur auf etwa 600 Höhenmetern dann in der Nacht bis auf 5-6 Grad sinkt, damit haben wir nicht gerechnet. Zwischen uns und der Außenwelt liegt nur die in Millimetern zu bemessene Außenhaut des Campers, die zudem die Außenkälte hervorragend in das Innere leitet. Ganz schön kalt war es in der Nacht und wir sind unter unserer Decke eng zusammengekrochen. Frühmorgens zeigte unserer Thermometer knappe 6 Grad Innentemperatur an. Da wurde zur heißen Dusche nicht gegangen, sondern gesprintet.
Am Abend hatten wir auf dem Campingplatz ein Paar aus Schwäbisch Gmünd getroffen, das heute in der früh zur Überquerung aufgebrochen sind. Ein Blick gen Himmel zu den dichten und tief hängenden Wolken ließ für die beiden nicht auf die besten Wanderbedingungen, wie wir sie gestern bei strahlendem Sonnenschein, natürlich mit gut Wind, hatten, schließen. Für uns stand heute die Fahrt in die Shakespeare-Stadt Stratford an, die hier nicht am Avon, sondern am Patea River liegt, als Ausgangspunkt, um am Mount Taranaki eine kleine Wanderung zu unternehmen. Ob in dieser Jahreszeit der 2.518 Meter hohe Berg noch die berühmte Schneeauflage rund um den Gipfelkegel besitzt, wird sich zeigen. Wir gehen eher davon aus, daß die schönsten Winteraufnahmen des Vulkans von den Werbeleuten ganzjährig eingesetzt werden.
Mit Blick auf das wolkenumhangene Tongariromassiv machten wir uns auf eine weitgehend unspektakuläre sonntägliche Reise nach Stratford. Heute ging es durch das Inselzentrum, weite Ebenen Fehlanzeige, Hügel dominierten das Bild. Anfangs hatten die Schaf- und Waldbauern die Nase bei der Flächennutzung vorn, später trat an die Stelle des Schafes die Kuh. Unsere Strecke führte über Taumarunui und dort auf die Nationalstrasse 43. Von hier an bewegten wir uns bis zum Zielort auf dem “Forgotten World Highway”. Die Tourismuswerber bemühen sich natürlich nach Kräften, den Nachteil der Region, die uns ebenfalls wie von allen vergessen vorkam, durch das Anpreisen einer Mehrzahl von Sehenswürdigkeiten auszugleichen. Dabei wird nach jedem Strohhalm aus der Geschichte des Landes bzw. der Region gegriffen und z.B. auf ein in Straßennähe befindliches Grab eines der ersten Siedler ebenso hingewiesen wie auf eine Stelle am Whanganui River, an dem um die vorletzte Jahrhundertwende jemand versuchte, einen regelmäßigen Bootsverkehr aufzunehmen. Ein an diesem Highway, ein sehr hochtrabender Name für eine knapp zwei Fahrspuren breite Straße, bei der seit sehr sehr langer Zeit ein Teilstück von etwa 15 Kilometern immer noch als Schotterstraße mit etwa 1 1/2 Fahrspuren besteht, befindliches Siedlerdorf von vier (!) Häusern, auf das hingewiesen wurde, ebenfalls verlassen, haben wir erst gar nicht gesehen. Wahrscheinlich sind die letzten Hausbalken inzwischen vermodert. Erfolgreicher ist der Hinweis auf Haltepunkte, um einen Blick in die sehr hügelige, teilweise bergige Landschaft zu werfen, in der Regel an einem “saddle”, also an einem zu überquerenden Bergsattel. Der Blick zurück und nach vorne zeigte nur, hier ist es nicht nur sehr hügelig und extrem schafsgeeignet, sondern auch menschenleer.
Ortschaften auf den 150 Kilometern dieser vergessenen Straße, die diesen Namen auch verdienen, haben wir bis auf eine Ausnahme nicht wahrgenommen. Das passt dann auch zu der bereits am Beginn dieses Highways durch ein großes Schild ausgesprochenen Warnung, daß auf den folgenden 150 Kilometern sich keine Tankstelle befindet. Eine derartige Tankstellendichte kannten wir bislang nur aus den kaum besiedelten Regionen Argentiniens. Folglich lebt auch hier kaum jemand und wenn, dann ist er Schafbauer und treibt seine viele hundert Tiere umfassende Herde über die Nationalstraße.
Hin und wieder durchfuhren wir einen geschützten Bereich, d.h. ein Gebiet, in dem zwar vor hundert Jahren, meistens in der Zeit von 1880 bis 1910/20 alles was ein Baum war, abgeholzt wurde, der nachgewachsene Wald jedoch Bestand hat. Eine Abwechslung für unsere Sinne nach so viel Weideland. Wer glaubt, diesen Highway in highwayähnlicher Zeit bewältigen zu können, täuscht sich gewaltig. Straßenverhältnisse und Streckenführung, keine Bergkuppe wurde ausgelassen, kein Bergvorsprung nicht umfahren, erlauben kaum ein Stundenmittel von mehr als 45 Kilometern, entsprechend langsam kamen wir voran, dankbar für jede optische Aufhellung.
In diese Region, in der heute nur sehr wenige Menschen dauerhaft zu leben scheinen, wurde um 1900 beschlossen, von Stratford aus über fast 150 Kilometer eine Eisenbahnstrecke zu bauen. Die Arbeiten wurden 1902 aufgenommen und erst 1932 beendet. Als Gründe für diese lange Bauzeit werden nicht nur die besonderen geologischen Bedingungen, die Notwendigkeit, insgesamt 16 Tunnel zu bauen, die fehlenden finanziellen Mittel sondern auch die fehlenden Arbeitskräfte während des ersten Weltkrieges genannt. 1932 wurde der Personenverkehr dann aufgenommen und 1983 wieder eingestellt. Nach dreißigjähriger Bauzeit nur eine fünfzigjährige Betriebszeit, eine schlechte Relation. Dieses Bahngleis begleitete uns die gesamte Strecke von Tauramunui bis nach Stratford.
Wenn das Jahr 1989 genannt wird, denken wir wahrscheinlich an die friedliche Revolution in der DDR, der Neuseeländer denkt bei diesem Jahr vielleicht an das Ausrufen der Republik Whangamomona, ein kleines Nest im Nirgendwo, an dem vergessenen Highway. Der Ort und die Republik kann auf eine lange Historie zurück blicken, wurde er bereits 1895 gegründet und war eine betriebsame Frontstadt in den Siedlerjahren mit 300 (!) Einwohnern, das zehnfache der heutigen Bewohnerschaft. Diese wenigen lassen es aber so richtig krachen. Heute bei unserer Durchfahrt saßen wohl alle vor dem örtlichen Hotel zusammen und sahen dem Eintreffen von Geländemotorradfahrern zu, ein Spektakel, waren die Fahrer doch aus größerer Entfernung, auch aus Stratfort, angereist. Das der Ort Historie besitzt, zeigen einige der noch erhaltenen Gebäude; erstaunlich, daß vor Generationen sogar eine Bank, Australasia Bank, hier eine Geschäftsstelle unterhielt. Aus der Zeit gefallen, aber ziemlich amüsant war dieses Örtlein.
Ein solches Reisehighlight ist kaum noch zu toppen, die restlichen gut 50 Kilometer bis nach Stratford blieben ereignislos. Selbst der Mount Taranaki riß uns nicht von den Sitzen, denn er blieb weitgehend von den Wolken verschluckt. So trudelten wir gegen 16:00 Uhr auf unserem Campingplatz im Shakespeare-Ort ein, der, wie wir bei unserem Abendspaziergang durch die Innenstadt feststellten, so gar nichts hat, an das man sich erinnern sollte, ausgenommen vielleicht ein Glockenspiel, das wir aber erst Morgen hören könnten. Am Abend lugte dann die Spitze des Taranaki aus dem Wolkenmeer heraus und ließ uns für den kommenden Tag hoffen, weshalb wir auf ein Bild verzichteten. Aber da kannten wir die Bauernregel vor Ort noch nicht.
Am Spätabend begann es zu nieseln, dann zu regnen und in der Nacht dann heftig zu schütten, was nichts Gutes für den Ausflug zum Berg verhieß. Dies bestätigte sich dann am 3.3.; nur wenige Meter der Bergfußes waren nicht in Wolken gehüllt, unsere geplante Wanderung fiel zwar nicht ins Wasser, denn inzwischen hatte es zu regnen aufgehört, war aber sinnlos, denn wer wandert schon gerne in den Wolken ohne die Chance auf die erhoffte Fernsicht. Wir hätten es wissen können, denn die Bauernregel besagt “if you can see the mountain it’s going to rain and if you can’t see the mountain it’ already raining”. Bei 7.000mm Niederschlag am Berg im Vergleich zu 1.500mm pro Jahr in New Plymouth leicht nördlich ist verständlich, daß man eher mit Regen und Wolken als mit gutem Wetter rechnen muß. Also brachen wir auf, legten aber einen kurzen Stop im Ort ein, um uns das “Glockenspiel” um 10:00 Uhr anzuhören. Stratford hat dafür extra einen Turm gebaut, aus dem zu einem adaptierten Shakespearetext aus Romeo und Julia große Personen aus Fenstern herausfahren, ein “Schauspiel”, das heute ganze zwei Zuschauer und Zuhörer hatte. Das war dann die eine Attraktion von Stratfort, die andere besteht darin, daß sämtliche Straßennamen nach Personen aus Shakespearestücken benannt sind.
Anstatt in die Höhe einen Teil des Mount Taranaki hinauf ging es weiter die Küste nach Norden hoch.