Den erhofften sonnigen Tag bekamen wir zwar nicht, aber einen nicht verregneten Tag mit akzeptablen Sichtverhältnissen trotz oft dichter Wolkendecke. Eine Weiterfahrt lohnte sich also und wir waren wie gewohnt gegen 10:00 Uhr wieder auf der Strecke. Auch heute setzte sich die Great Ocean Road etwas von der Küste abgesetzt weiter fort, ehe sie bei Princetown wieder ihrem vollen Anspruch genügte. Der Inlandsstreifen ist verständlich, wenn man die nahezu unzugängliche Küste und die sich daraus ergebende fehlende Besiedlung betrachtet. Die im Binnenland gelegene Strecke führte zumindest an einer Handvoll Gehöften vorbei; Landwirtschaft an Stelle von Forstwirtschaft bestimmt das Leben der Menschen. Princetown liegt mitten im Twelve Apostles Marine National Park und von nun an kamen wir wegen der zahlreichen Stops kaum noch voran. Geschätzt alle 3-4 Kilometer gab es eine Möglichkeit, sich der beeindruckenden Küste zu nähern. Dieser Küstenabschnitt weist bis zu 50-60 Meter hohe steil ins Meer abfallende Kliffs auf, vor denen an zahlreichen Stellen noch nicht ganz durch den Zahn der Zeit zerstörte Felsen mit bizarren Formen im Wasser stehen. Der erste Stop war an Gibson Steps; dort konnte man “bequem” die unzähligen Stufen bis zum Strand hinunterlaufen, um sich die Kliffs aus der Käferperspektive anzuschauen. Ganz schön klein kam man sich dabei vor. Spektakulär der Blick, dem an den übrigen Punkten nicht weniger spektakuläre Bilder und Ansichten folgten.
Dann sahen wir schon das Schild, mit dem auf den Namensgeber dieses Gebietes hingewiesen wird, “Twelve Apostles”. Ein großes Besucherzentrum empfing uns; von hier aus konnte man gepflegt auf rollstuhltauglichen Wegen an verschiedene Aussichtspunkte laufen, um auf diese Gruppierung von im Wasser stehenden Felsen einen Blick zu werfen. Wer genau zählte stellte fest, es waren keine 12 Apostel zu sehen, was der Wahrheit entspricht, denn m.E. sind zwei der Felsen im Verlaufe der letzten 50 Jahre zusammengebrochen und liegen als Fragmente im Wasser. Was zu unserem Glück fehlte sich aber leider nicht einstellte war das Sonnenlicht, denn dann hätte das unterschiedliche Braun und Ocker der Felsen so richtig geleuchtet. So bleibt es unserer Fantasie überlassen, die Felsen kontrastreicher und farbiger wahrzunehmen.
Unterschiedliche stabile Gesteine machen es möglich, daß durch Wellenschlag, Wasser und Luft derartige Gebilde entstehen. Von diesem Besucherzentrum liefen zwar keine Menschenmassen zu den Aussichtspunkten, ein-zwei Dutzend waren es jedoch schon, denen man zumindest teilweise bei den nächsten Haltepunkten in Richtung Westen immer wieder begegnete. Unser nächster Stop hieß “Loch Ard Gorge”, hier verbunden mit einer traurigen Geschichte über ein nahe dieser Stelle gesunkenes Fracht- und Passagierschiff Ende des 19. Jhd. Diese Küste war im übrigen nicht gerade leicht, zumindest küstennah, zu besegeln, denn zahlreiche Untiefen und Felsen machten die Navigation nicht leicht und waren für einige hundert Schiffe wie es heißt der Friedhof. Passenderweise heißt dann die Küste auch “shipwreck coast”. Wir konnten zwar keinen aus dem Meer aufragenden Mast mehr sehen, es gab jedoch zahlreiche Hinweise entlang der Küste auf in der Nähe havarierte Schiffe. Von diesem zentralen Punkt aus war es möglich, an unterschiedliche Küstenabschnitte mit wenigen Schritten zu gehen, so auch in Sichtweite von Muttonbird Island, Heimat hunderttausender dort zu Brutzeiten lebender Vögel.
Die herzerweichende Geschichte bei Loch Ard Gorge lautet wie folgt : Durch Fehlnavigation im Schlechtwetter wurde das Schiff kurz vor Erreichen seines Ziels Melbourne und einen nicht auf der Brücke, sondern mit Gästen feiernden Kapitän quasi auf den Felsen gesetzt und sank; nur ein junges Besatzungsmitglied sowie eine junge Irin überlebten, letztere weil der Seemann die junge Frau in dem Sturm über Stunden über Wasser gehalten und an Land gebracht hat. Das erhoffte Happyend blieb aus, der junge Mann wurde geehrt, die Irin kehrte in ihre Heimat zurück. Von den an die 50 mit dem Schiff untergegangenen Menschen konnten nur die Leichname von vieren geborgen werden, die in der Nähe der Unglücksstätte beigesetzt wurden.
Die Aussichtspunkte setzten sich fort, nach wenigen Kilometern der nächste Hinweis, von der Küstenstraße abzubiegen, jetzt zum Sentinel Rock.
Es folgte “The Arch”
von diesem Punkt konnte man in geschätzten 20 Kilometern schemenhaft einen Teil der zwölf Apostel vor den Küstenklippen ausmachen als hellere Formationen.
Dann erreichten wir England, genauer “London Bridge”. Das sichtbare Gebilde stellte aber nur noch einen Bogen dar, von Brücke also keine Spur. Die Erklärung : in 1990 war dieser Trum noch mit dem Festland verbunden; der fehlende zusammengebrochene Teil hatte ebenfalls einen Durchbruch im Wasserniveau, war bogenförmig ausgehöhlt. Dies vor dem inneren Auge kann man schon die Namensgebung akzeptieren und das verbleibende Teilstück als Brückenteil verstehen.
Vor dem Brückenzusammenbruch war es möglich, die Brücke zu benutzen, so auch am Tag des Einbruchs. Zum Glück befand sich niemand auf dem Bruchstück, jedoch mussten zwei Gäste von dem nun zur Insel mutierten Brückenende per Hubschrauber gerettet werden. Wie durch die Wellen nach und nach Öffnungen in das Gestein gefräst werden, war in weiter Ferne an der Küstenklippe zu erkennen; offensichtlich bestand inzwischen ein Loch in dem Felsen durch das bei jedem Wellenschlag Wasser hindurchgedrückt wurde.
Nächster bemerkenswerter Besichtigungspunkt stellte “The Grotto” dar. Hier trafen die meerseitige Wasserkraft und die des Sickerwassers von der Oberfläche zusammen. Das Sickerwasser höhlte im Verlaufe von Millionen von Jahren das Gestein aus, so daß es teilweise zusammenbrach und nur ein Bogen stehen blieb, während weit unterhalb des Bogens die Wellen einen tiefen Einschnitt in den Felsen erzeugt haben.
Dann war Peterborough erreicht, ein kleiner Ort mit einer großen Bucht, vor dem sich jedoch ein großes Riff befindet. An einer kleinen Landspitze fanden wir eine Tafel, mit der auf einige der in der Nähe gesunkenen Segelschiffe hingewiesen wird. Bei ihrem Blick über die Bucht meinte Katrin, in der Ferne ein Kamel zu erkennen – optische Täuschung?
Es nahm kein Ende mit den vor der Küste liegenden Felsinseln; die nächste Formation auf die der Reisende hingewiesen wurde war die “Bay of Martyrs”; leider fanden wir keinen Hinweis zu dieser besonderen Namensgebung.
Schließlich kamen wir am Ende unserer langen Küstenreise an der “Bay of Islands” an, als ob wir nicht schon genügend Felseilande betrachtet hätten. Hier fiel uns mehr die tolle Farbgebung der Küstenfelsen auf und erst in zweiter Linie nahmen wir die zahlreichen Felsinseln vor dieser wahr. Dies war dann auch ein würdiger und schöner Abschluß unserer Fahrt entlang der Great Ocean Road, die zwar erst einige Kilometer weiter im Inland bei Allansford endet, aber keine besonderen Sehenswürdigkeiten bis dorthin mehr aufweist.
Warrnambool war unsere letzte Station an der Küste von Victoria, zum einen, weil wir von hieraus in das Landesinnere Richtung Grampian NP fahren wollten, zum anderen, weil es an Logans Beach am Rand von Warrnambool eine Wale Nursery gibt. Im Zeitraum zwischen Juli und September bringen die Southern Right Whale-Kühe hier ihren Nachwuchs zur Welt und befinden sich dabei in flacheren Gewässern, also Gelegenheit, diese bis zu 18 Meter großen Säugetiere vom Strand aus zu beobachten. Natürlich glaubten wir nicht, vor Ort einen Nachzügler des letzten Geburtsjahres vorzufinden, aber Informationen zu diesen Walen. Auf zahlreichen Tafeln informierte man den Interessierten über den Umfang der Bedrohung dieser Wale, die fast ausgerottet waren und sich nur langsam zu einer Population entwickeln, bei der ein Überleben der Art wahrscheinlich ist, ihre Identifikationsmöglichkeiten, Lebensformen und Ernährung. Wir haben wieder etwas hinzugelernt.
Das Victoria so etwas wie die Korn- und Fleischkammer Australiens darstellen (könnte) konnten wir auf unserer anschließenden Fahrt nach Norden feststellen. In Hamilton, eine gute Autostunde von der Küste entfernt, ließen wir unseren Anker auf einem Campingplatz für heute fallen.