Die Port Arthur Strafgefangenkolonie hat in der Geschichte von Australien einen besonderen Stellenwert; dem entspricht auch der Welterbestatus, der Port Arthur zusammen mit weiteren die Gefangenlagern des 19. Jhd. als “Strafgefangenen Welterbe”(?) zuerkannt wurde. Eine solche auch räumlich große Anlage ohne Führung zu erleben, schien uns unpassend, deshalb waren wir früh auf den Beinen, um an einer der morgendlichen Einführungen in die Geschichte des Ortes teilnehmen zu können. Hieß es in den schriftlichen Unterlagen stündlich findet eine Führung statt, wurden offensichtlich auf Grund des starken Besucherandrangs Zusatzführungen eingeschoben. Dies zeigt, welchen Stellenwert diese Anlage auch für die Einheimischen hat, denn viele der Besucher waren Australier. Wie unsere Führerin spaßig meinte, wir Australier kommen an den Ort zurück, an dem schon unsere Vorfahren einige Zeit verbracht haben; nicht ganz zu Unrecht, denn ein guter Teil der frühen Siedler in Australien waren entlassene Strafgefangene.
1830 wurde Port Arthur als Strafkolonie “gegründet”, vorher gab es an dieser Stelle nichts außer Wald. Dieses Vermögen für den Staat nutzbar zu machen, indem die Bäume gefällt und im ebenfalls vor Ort aufgebauten Sägewerk verarbeitet wurden, war ein wichtiger Grund für die Ortswahl. Noch viel bedeutender jedoch die besondere Lage dieser Tasman Peninsula, auf der Port Arthur liegt : nur ein etwa 100 Meter breiter Isthmus verbindet diese Insel mit dem Festland. Da im allgemeinen die Strafgefangenen nicht schwimmen konnten war diese Landverbindung die einzige Möglichkeit, sich vom Acker zu machen. Diese schmale Landenge wurde im wesentlichen durch Hunde gesichert, die hungrig gehalten die Landenge “bewachten”, unter Mithilfe einiger Wachmänner. Im Straflager selber waren zwar auch zahlreiche Wachleute stationiert, in der Regel englische Soldaten, die hier meistens 6 Jahre ihres Lebens dienen durften (!) und dabei das traurige Leben der Gefangenen zumindest in den Mannschaftsrängen teilten. Die Gefangenen konnten sich weitgehend frei bewegen, wohin sollten sie auch, Kontrolle wurde durch das harte Arbeitspensum ausreichend ausgeübt.
Von einem kleinen Strafgefangenenlager in 1830 entwickelte sich Port Arthur zu einem Komplex mit unterschiedlichen Produktionsstätten, Unterkünften für die Soldaten und die Gefangenen, Kirche, Schule, Hospital, Kirche etc. Im Umfeld des Lagers siedelten sich im Laufe der Zeit auch Landwirte an, die von den billigen Arbeitskräften profitierten und in der Kolonie auch einen wesentlichen Abnehmer ihrer Produkte hatte. Der eine oder andere entlassene Delinquent zog es manchmal auch vor, in der Nähe der gewohnten Umgebung zu bleiben und ließ sich hier nieder. Hört man dies und sieht die Anlage, auf der ein Großteil der früheren Gebäude wieder errichtet wurden bzw. einer Restauration/Sanierung unterzogen werden, kommt einem dies wie ein Paradies vor. Friedlich liegen die wichtigsten Gebäude in einer Art großer Park.
Dann blendet der Betrachter aber die Lebensumstände der Gefangenen völlig aus, denn idyllisch war ihr Leben wirklich nicht. Von frühmorgens bis zum Abend musste geschafft werden, meistens in Gangs, scharf kontrolliert, was den Arbeitseinsatz betraf. Drückeberger wurden besonders behandelt und in strengste Einzelhaft genommen. Produktiv mussten die Arbeitskräfte sein, sei es beim Holzfällen, der Sägerei, der Tischlerei, der Ziegelherstellung, Steinmetzarbeiten, auf den Feldern, beim Urbarmachen von Land, der Herstellung von Schuhen etc. Der Lagerleitung kam zu Gute, daß zahlreiche “Gäste” einen Beruf ausgeübt hatten, der hier von Nutzen war. Sogar eine kleine Schiffswerft entstand, die einige mittlere Segelschiffe auf Kiel gelegt hat, wobei das verwendete Holz praktischerweise direkt aus dem Wald über das Sägewerk angeliefert wurde. Selbstverständlich gab es auch eine Schmiede und als man feststellte, das in großen Abständen per Schiff angelieferte Mehl war oft nicht mehr verwendbar, baute man eine Mühle, um das vor Ort geerntete Korn selber zu mahlen. War der Wasserstand zum Antrieb der Mühlsteine zu gering, mussten die vorhandenen Arbeitskräfte sich einspannen. Über allem tronte der Leiter der Anstalt in seinem an exponierter Stelle befindlichen Anwesen.
Das Leben des Wachpersonals unterschied sich von dem der Gefangenen kaum. Ihre Unterkünfte waren eng, ein persönlicher Bereich fehlte, man lebte in der Kolonie von der Familie in England getrennt. Nur eine Handvoll Frauen durfte später auf dem Gelände leben, wozu natürlich die des Anstaltsleiters gehörte. Betrachtet man die Lebensumstände der Soldaten war der Einsatz in Port Arthur einer Bestrafung gleichzusetzen. Nicht nur, um den Speisezettel aufzubessern wurde einigen höheren Wachmannschaftschargen erlaubt, sich kleine Gärten anzulegen. Wer einen besonderen Nutzen von dem großzügigen bunten Garten hatte, der auch heute wieder an alter Stelle angelegt wurde, wissen wir nicht.
In heutiger Zeit unvorstellbar, damals aber keine Ausnahme, Jugendliche ab dem Alter von 9 Jahren durften hier einfahren! Zum Teil wegen nichtiger Vergehen, wie die sehr ausführliche und informative Ausstellung über das Leben in Port Arthur sehr anschaulich vermittelt. So wird von einem Jugendlichen berichtet, der in London ein Taschentuch gestohlen haben soll; angeblich Mitglied einer Gang, die den Wohlhabenden das Leben schwermachte, wurde der Knirps zu 5 Jahren Arbeitslager verdonnert. Fortschrittlich demgegenüber dann die Behandlung der kindlichen und jugendlichen Strafgefangenen vor Ort. Für sie wurde auf der nahe gelegenen Insel Point Puer ein gesondertes Lager errichtet, in dem neben der täglichen Arbeit auf eine Schulausbildung wie auch das Erlernen eines Handwerks Wert gelegt wurde. Die Trennung von den “normalen” Gefangenen sollte den vermuteten schlechten Einfluß verhindern.
Wo gelebt wird , wird auch gestorben. Beerdigt wurden Gefangene wie auch freie Bürger des Ortes auf der kleinen “Isle of the Dead”. Über 1.100 Gräber sollen sich auf diesem kleinen Flecken befinden.
Hier wurde das Prinzip verfolgt, durch Schinderei der Delinquenten einerseits Profit für die Krone zu erzielen, andererseits den untauglichen Versuch zu unternehmen, den Gefangenen zu läutern. An Stelle der Läuterung trat oft die psychische Vernichtung des Menschen, was sich auch in einer steigenden Zahl von in einem besonderen Gebäude konzentrierten lebensunfähigen Gefangenen ausdrückte. Mancher mit einer Zeitstrafe belegte Gefangene kehrte als gebrochener Mensch in seine Heimat zurück. Was ursprünglich als Ort vorgesehen war, an den nur Wiederholungstäter “verschickt” wurden, entwickelte sich im Laufe seiner Existenz, die bis 1877 andauerte, dann wurde das Lager geschlossen, als Ort, an dem aus dem gesamten Empire Verurteilte, unabhängig davon ob Erst- oder Wiederholungstäter, ihre Strafe abbüßten. Einer Informationstafel, relativ verschämt in einem kleinen Gebäude angebracht, konnte die Zahl von über 140.000 in die Kolonien verschickte Straftäter entnommen werden; hiervon sollen bis zu 80.000 durch das Lager von Port Arthur gegangen sein.
Trotz Sonnenschein, tollem Wetter, einer Bootsfahrt um die beiden Inseln, einer interessanten kurzweiligen Einführung in diese Welterbestätte – was zurück blieb war auch ein Stück Betroffenheit, Traurigkeit, wie man früher mit Menschenleben umgesprungen ist. Hierzu trägt auf jeden Fall die sehr gelungene Ausstellung bei. Man wird dem Ort und seiner Geschichte sicherlich mehr gerecht, wenn man das Angebot, an zwei aufeinander folgenden Tagen sich umzusehen, annimmt und die Ausstellung in aller Ruhe durchläuft. Wir fuhren am frühen Nachmittag sichtlich betroffen von dem Erfahrenen weiter.