Heute am 27.4 waren wir bei Lady Musgrave standesgemäß zu einem späten Vormittagstee eingeladen, dem sogar ein Nachmittagstee folgte. Lady Musgrave, die Frau eines Präsidenten von Queensland im 19. Jhd. bekannt für ihre exquisiten Gesellschaftsabende ist Namenspatronin dieser kleinen Insel mit Korallenriff etwa 60 Kilometer vor der Town of 1770, genannt seventienseventy. Auch die Stadt hatte einmal einen anderen Namen, bis man sich 1970 wohl im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten der vor 200 Jahren erfolgten Anladung von James Cook an dieser Stelle dazu aufraffte, dieses Pfund in die Waagschale des Tourismus zu werfen. Fortan firmierte dieser kleine Flecken unter 1770. Klein ist der Ort heute immer noch, eher aufstrebend hingegen die Nachbargemeinde Agnes Water. Sie profitiert nicht nur von ihrem schönen Strand, sondern auch von der Tatsache, daß weiter nördlich das Barrier Reef den Aufbau surfbarer Wellen verhindert; Agnes Water ist folglich der nördlichste Ort der Ostküste, an dem man Wellenreiten kann. Hingegen besteht 1770 heute noch im wesentlichen aus einem kleinen Kai, von dem aus die Schiffe zu den vorgelagerten Inseln fahren sowie einigen entlang der und auf den Küstenklippen gebauten Ferienhäuser. Es ist schon bezeichnend, wenn damit geworben wird, der Ort und seine Umgebung hätten sich seit 1770 nur wenig verändert.
Um das Ergebnis des Tages vorwegzunehmen : wir haben uns über die Einladung enorm gefreut, der Tag war ein besonderes Erlebnis. Nach 1 1/2 Stunden Fahrt mit einem Katamaran, dem “Spirit of 1770”, und zusammen mit etwa weiteren 80 Gästen fuhren wir, nachdem wir in der Ferne einige andere Inseln ausgemacht und passiert hatten, langsam durch die schmale Öffnung in dem Korallenriff von Lady Musgrave Island, das eine Mächtigkeit von 10 Metern nach Angaben des Kapitäns hat, um in der großen Lagune an einem Ponton festzumachen, der Ausgangspunkt zahlreicher Aktivitäten im Verlaufe unseres 5-stündigen Aufenthaltes an und auf der Insel war. Wir waren nicht die einzigen in der Lagune, wenige Segler hatten hier ihren Anker geworfen. Mit Genehmigung der für die Insel verantwortlichen Naturschutzbehörde EPA kann man unter strengen Auflagen auf einem gekennzeichneten Inselbereich campen, muß aber wirklich alles was benötigt wird auf die Insel mitbringen und genau so wieder abtransportieren, wirklich alles! Auf unserer Rückfahrt nahmen wir drei wohl vor einigen Tagen hier zurück gebliebene Naturfreunde nach 1770 mit.
Die Insel liegt am südlichen Ende des Great Barrier Reef, und zwar auf der äußeren Seite. Sowohl Korallenriff als auch der Fischbestand sind noch vollständig intakt, dazu hat sicher auch die Einbeziehung in eine der höchsten Schutzstufen innerhalb des Nationalparks Great Barrier Reef beigetragen. Vieles aber nicht alles ist verboten oder reglementiert; die Bootsbesatzung achtet peinlich auf die Einhaltung der Regeln. Die sichtbare Insel selber macht mit ihren 14ha nur den kleinsten Teil der gesamten Inselanlage inklusive umgebendes Riff aus, denn dieses ist 1292ha groß.
Kaum angekommen konnten wir in einer ersten Gruppe in ein kleines Glasbodenboot steigen, um auf die Insel über zu setzen. Die Insel ist für wenige Vogelarten Brutplatz; hier brüten u.a. während der Winterzeit aus Sibirien hierher gezogene Vögel. Auch derzeit konnte man in Ufernähe den Nachwuchs bei tollpatschigen Gehversuchen zuschauen.
Der Kern der Insel ist bewaldet mit einer aus dem asiatischen Raum stammenden das Regenwasser extrem speichernden Baumart, die selbst wenn durch Sturm umgeworfen auch in liegender Position weiter wachsen, was zu einem besonderen Waldbild führt. Eine besondere Höhe erreichen die Bäume nicht, dazu trägt schon der oft stramme Wind bei, dem insbesondere strandnahe Baumbestände dauerhaft zum Opfer fallen.
Auf Schritt und Tritt über die kleine Insel spürt man unter der Sohle, wir sind auf einer Koralleninsel. Dichten Humus sucht man hier vergeblich. Den Nährstoff für die Bäume liefern die hier nistenden Vögel durch ihren Kot. Bis Anfang der 30ger Jahre wurde dieser sogar “abgebaut”, Stichwort Guano, bis die Insel unter Naturschutz gestellt wurde. Manche Vögel nisten nicht in den Bäumen sondern in kleinen Erdlöchern, ähnlich wie Pinguine.
Nicht nur deshalb sind wir Besucher gehalten, uns auf dem vorgezeichneten Weg zu halten, um die Erdlöcher nicht zu zerstören und u.U. die kleinen gefiederten Freunde zu ersticken. Man kann sich seine Mitreisenden bei solchen Ausflügen nicht aussuchen und muß Nachsicht üben. Heute hätten Katrin und ich aber einen guten Teil der ignoranten und rücksichtslosen Chinesen, die trotz eindeutiger Verhaltensregeln glaubten, mit der Natur hier so umgehen zu können wie im Reich der Mitte, nämlich respektlos und egoistisch. Da nur ein sehr kleiner Teil des chinesischen Volkes die Mittel und die Möglichkeit hat, derartig aufwändige Auslandsreisen zu unternehmen, dürften die uns begleitenden Chinesen der Staats- und Wirtschaftselite angehören. Da bekommt man einen besonderen Zorn. Ein wichtiger Hinweis lautete, auf der Insel (wie auch im Wasser) nichts anzufassen, denn es könnte einerseits giftig sein, andererseits gebietet es der Respekt vor den Aborigines, die Ureigentümer des Landes sind, deren Eigentum zu respektieren. Kaum sind wir aus dem kleinen Boot an Land gegangen, wird in dem seichten Wasser nahezu jeder Stein umgedreht, werden Seegurken herausgezogen. Ein Aufschrei von hinten, von unserer Begleitung für den Inselspaziergang, verbunden mit der Aufforderung, die Regeln zu befolgen. Was würden denn die Chinesen sagen, wenn man beginnen würde, aus dem “Great Wall” Steine herauszubrechen um diese mitzunehmen? So ihre Ansprache, die aber wenig bewirkte. Auch die Demonstration, wie zahlreich hier im seichten Wasser die hochgiftige und für den Menschen tödliche “coneshell” zu finden ist, wurde eher nur mit großem Mund aufgenommen.
Diese den größten Teil der Ausflügler stellende Gruppe von Chinesen wurde zur Belastungsprobe für unseren Geduld und Toleranz. Man muß die Schiffsbesatzung bewundern, wie sie trotz der Frechheiten die Ruhe bewahren.
Katrin hatte den Wunsch, endlich viele bunte Fische zu sehen, darunter möglichst auch den Nemo. Dieser Wunsch wurde mehr als erfüllt. Bereits rund um unseren Ponton wimmelte es nur so von alle mögliche Farben aufweisenden großen, ganz großen und kleinen Fischen; verschiedene Arten des Merlins wurden gesichtet, mehrere mittlere und eine extrem große grüne Schildkröte, vom Aussterben bedroht, entdeckt, sowohl vom Ponton aus, bei unseren ausgiebigen Schnorchelgängen in der Lagune und bei verschiedenen Fahrten mit einem weiteren Glasbodenboot entlang einiger kleiner Korallenriffe. Schade, daß wir keine Unterwasserkamera besitzen, es hätte viel Freude bereitet, den Fischreichtum in Farbe dokumentieren zu können.
Natürlich erkundigt man sich auch, ob es hier Haie geben würde. Die Antwort war ehrlich und gleichzeitig ein Hinweis : natürlich gäbe es hier Haie, sowohl die völlig ungefährlichen als auch das eine oder andere Exemplar, dem der Mensch nicht allzu nahe kommen sollte. Aber hier in der Lagune sei man sehr sicher, nicht nur, weil die Öffnung im Riff nicht sehr tief sei, sondern weil der Fischreichtum draußen für die Haie derart groß sei, daß es für sie nicht lohnenswert sei, den Versuch in die Lagune zu gelangen zu unternehmen. Hoffentlich wissen das die Haie! Die andere Drohung für den Schwimmer hier in ostaustralischen Gewässern ist der Jellyfisch, d.h. bestimmte Quallenarten, deren Berührung ebenfalls einen tödlichen Ausgang nehmen kann. Eigentlich heißt es, insbesondere an den Inseln des äußeren Barrier Reef bestünde diesbezüglich keine Gefahr, als wir beim Anlanden auf der Insel jedoch einen Tauchlehrer in einem Ganzkörperkondom sprich Stingersuit sahen, d.h. einem Tauchanzug, der jede Hautpartie vollständig abdeckt, kamen wir kurz ins Grübeln. Wahrscheinlich hatte er keinen anderen Anzug zur Hand?!
Lebende Korallenriffe hatten wir bislang so richtig noch nicht zu Gesicht bekommen. Auf unseren Schnorchelgängen konnten wir eine ganze Anzahl sehr unterschiedliche wachsende Korallen unterscheiden, erkennen, aber das beste Bild entstand mit einer kleinen Rundfahrt auf dem Glasbodenboot, mit dessen Hilfe wir in mehr als einen Meter unter der Wasseroberfläche an den Korallenriffen vorbeifuhren. Filigrane Architektur neben Massivbauweise, schlanke schwankende Türme neben kompakten Bauten; auch in den Farben konnte man deutliche Unterschiede ausmache. Wieder einmal ein Pech, kein passendes Aufnahmegerät zur Hand zu haben.
Der Tidenhub beträgt hier gut 2,5 Meter; dies konnten wir im Verlaufe unseres Aufenthaltes in der Lagune sehr gut beobachten. War zu Anfang der von uns Schnorchlern zu erkundende Bereich nahezu unendlich, tauchten gegen Nachmittag immer mehr Korallenbänke aus dem Wasser auf. Man tat gut daran, sich von diesen fern zu halten, nicht nur, um die Korallen nicht zu verletzten, sondern um selber sich keine tiefen Schnittwunden zuzufügen, denn manche Korallen sind messerscharf. Mit der Ebbe war sehr schön in der Ferne das weit geschwungene Korallenriff zu erkennen, aber auch die Nachbarinseln hoben sich etwas deutlicher vom Horizont ab.
Wir hätten noch länger in der Lagune bleiben können, die Wassertemperatur war sehr angenehm, nicht zu warm und nicht zu kalt, wenn man in Bewegung blieb. Schnorcheln mit Flossen an den Fußen trug eher zur Auskühlung bei, ohne Flossen war man mehr gefordert und aktiv in Bewegung. Jeder Ausflug geht einmal zu Ende und gegen 15:30 Uhr wurden die Leinen vom Ponton gelöst und Kurs auf 1770 genommen. Bei der Vorbeifahrt an Lady Musgrave Island konnten wir dann erkennen, daß noch einige Menschen auf der Insel campierten, denn in zwei Kajaks wurde gepaddelt und am westlichen Strand waren vier Personen zu erkennen.
Nun denn, auch ein sehr schöner Tag, wieder einer, den man in Erinnerung behält, ging nach einer gut 1 1/2-stündigen Rückfahrt und immer noch bei vertretbarem Seegang zu Ende. Die Abendstimmung beim Einlaufen in den “Hafen” von 1770 passte zu dem tollen Tag, ein Tag der sich wirklich gelohnt hat.