So wenig Vogelgezwitscher am Morgen haben wir schon lange nicht mehr gehört; nicht laut schreiendes, sondern sehr leises Gepiepse, nicht ausreichend, um unseren Schlaf zu stören oder uns aufzuwecken. Dazu musste dann der Wecker Laut geben, damit wir früh vom Hof fahren können, um am Nachmittag im Kings Canyon wandern können. Wir waren aber nicht die einzigen, die sich früh auf den Weg machten. So zeitig, wie die Australier in ihren Wohnwägen und Campern abends das Licht löschen, nach 20 Uhr wird es ruhig, so früh sind sie morgens auf den Beinen, um das nächste Ziel anzusteuern.
Dann lagen gute 350 Kilometer Fahrt vor uns, die ständig neue (?) Umgebung mit sich brachte. Schnurgerade ging es meistens geradeaus, rote Erde rahmte den Asphalt ein.
Nach einer Stunde hatte sich das Bild geändert,
dieses Bild änderte sich nach zwei Stunden,
dann hieß es abbiegen,
um dann gegen Ende ganz überraschend Neues zu präsentieren.
Man sieht, das alltägliche Problem, entlang der Strecke Abwechslung zu finden ist ein ganz großes. Zum Glück gibt es ein Ziel und eine geschätzte Ankunftszeit, an der man sich, wenn man so leicht vor sich hin dämmernd, dahinrollt. Nein, gedämmert hat der Fahrer nicht, aber die Konzentration zu bewahren, erforderte manchmal den Zuspruch und die Aufmunterung des Beifahrers. Ab und an sahen wir am Straßenrand kleine runde Früchte liegen, die manchmal wie Melonen oder Kürbisse aussahen. Irgendwann war die Neugier doch so groß, daß wir anhielten und uns bestätigt sahen; klein, rund und deutliche Ähnlichkeiten mit Melonen. Später konnten wir auf einem Informationsblatt nachlesen, daß es sich tatsächlich um Melonen (cucumis myripocarpus !) handelt, eigentlich im südlichen Afrika beheimatet – wie kommt sie dann nach Australien (?) – , für bestimmte Tierarten kann der Verzehr jedoch tödlich enden.
Kamele haben wir hier nicht vermutet; die Abbildung eines entsprechenden Warnschildes in einem Flyer ließ deren Existenz im Northern Territory vermuten. Ganz plötzlich, ohne jeglichen Hinweis stand dann eine Gruppe von Kamelen abseits der Straße, bei genauerem Hinsehen in einem umzäunten Bereich. Der größte Teil ließ sich bei der Futtersuche nicht durch unsere Anwesenheit in der Ferne irritieren, nur bei einzelnen Tieren kamen wir nur für einen kurzen Augenblick über deren Aufmerksamkeitsschwelle.
Wenige Minuten nach 12 Uhr waren wir am Ziel, dem Parkplatz am Kings Canyon im Watarrka National Park. Viele Fahrzeuge standen hier nicht, also kein überlaufener Wanderpfad. In drei bis vier Stunden kann man entlang der Kante des Kings Canyon wandern und hat dabei immer wieder Einblicke in den tiefen Landeinschnitt.
Der Kings Canyon ist Bestandteil der George Gilles Range, die sich gut 75 Kilometer weit von hier gen Nordosten erstreckt. Zwei unterschiedliche Sandsteinarten sind für das besondere Erscheinungsbild der George Gilles Range verantwortlich. Ihre Entstehung liegt zwischen 440 und 400 Millionen Jahren zurück. In dieser Zeit muß diese Gegend zweimal unter der Meeresoberfläche gelegen haben, damit der Wasserdruck die Sandschichten zu Stein komprimieren konnte. Dann aus dem Meer herausgehoben war die Region dem üblichen Erosionsprozess ausgesetzt. Zwischen beiden Sandschichten hatte sich eine wenig wasserdurchlässige Schicht gebildet, Mudstone, die heute mit verantwortlich dafür ist, daß der Canyon in Teilen Wasserreservoire halten kann. Von Bedeutung ist auch, daß die unterschiedliche Festigkeit der beiden Sandsteine ursächlich ist für die einerseits steilen senkrechten Abbrüche der Felsen und andererseits der sanfter auslaufenden Täler. Und dies macht den Reiz dieses Canyons aus.
Ob die Aussage stehen gelassen werden sollte, der Kings Canyon würde den Uluru in seiner Schönheit, Erhabenheit, Präsenz übertreffen, können und wollen wir nicht beurteilen – faszinierend und sehr interessant war es, hier fast drei Stunden entlang der Abbruchkanten zu laufen und immer wieder neue Gesteinsformationen zu sehen, wechselndes Farbenspiel zu beobachten, feststellen zu können, wie sich in diesen Felsen eine vielfältige Flora entwickeln und behaupten konnte. Dabei mussten wir uns besonderer Plagegeister erwehren – gewöhnliche kleine Fliegen fielen in Größenordnung über uns und jeden anderen Wanderer her, versuchten in jede nur denkbare Öffnung zu kriechen, schreckten dabei weder vor dem Gehörgang noch den Nasenlöchern zurück. Unsere Gegenwehr sah, frühzeitig auf das Problem aufmerksam geworden hatten wir uns gewappnet, so aus :
So uns erfolgreich gegen die Attacken geschützt, konnten wir den auf den Canyonrand führenden steilen Aufstieg beginnen, der uns durch eine Art Treppenstufen, oft natürlichen Ursprungs durch die Felsformation vorgegeben, erleichtert wurde.
Bereits während dieser “Treppensteigerei” konnten wir ab und an tief in die Weite des Canyons hineinblicken und uns ausmalen, was zu sehen sein wird, wenn wir dann oben angelangt sind.
Bevor wir an den entscheidenden Abbruchkanten nach unten sehen konnten, führte uns der Weg vorbei an einer Vielzahl von durch die Erosion auf dem Plateau entstandener Türme und Türmchen, durch schmale Gassen hin und her über die Ebene.
Die unterschiedlichen Gesteinsfarben, wie sie sich auf den Bildern darstellen, waren wirklich derart unterschiedlich, wobei ein rötlicher Ton deutlich dominierte.
Bevor die zweite Sandschicht von Wasser bedeckt wurde, wurde sie erst einmal geschaffen, d.h. Erosion erzeugte den Sand, der dann je nach herrschender Windrichtung sich auch schichtweise legte. Dies war an verschiedenen Stellen erkennbar; zuerst war uns nur der nicht normale da teilweise gegenläufige Verlauf der Gesteinsschichten aufgefallen, später konnten wir eine Erläuterung dazu finden.
Auch ein Wellenmuster wurde vor Millionen von Jahren dem Sandstein aufgeprägt:
Es gab also während der Wanderung viel zu beobachten, zügiges Fortkommen nicht immer möglich, die Augen wollten halt überall nach dem Besonderen suchen. Neben den zahlreichen interessanten Steinformationen sind natürlich die Blicke in den Abgrund etwas besonderes. Abgesichert ist keine der Stellen, von den man in die Tiefe blicken kann, es stehen lediglich Warnschilder, die auf das Risiko eines Abbruchs hinweisen. Man stelle sich das in Deutschland vor.
Wie es heißt, sollen manche Felswände bis zu 270 Meter senkrecht abfallen. Auch Wasserfälle kann man hier sehen, das setzt aber massive Regenfälle voraus, was derzeit nicht der Fall ist. Also bleibt uns nur die Vorstellung von einem Wasserfall.
Keine Vorstellung blieb der Garden of Eden. Wir gehen an einer der zahlreichen Schluchtkanten entlang, der Kings Canyon ist vielfach verzweigt, und plötzlich sehen wir unter uns Wasserlöcher, Palmen, Farne und eine Vielzahl von Büschen und Sträuchern in vollem Grün und im Wind schaukelnd. Wir blickten nicht auf den Talboden, der wäre etwa 250 Meter unter uns zu vermuten gewesen, sondern nur etwa 50-60 Meter tief hinab. In einem Teil des Canyons hatte sich dieses Biotop gebildet, das zu Recht Garden of Eden genannt wird, es soll Beleg dafür sein, daß hier früher ein eher tropisches Klima geherrscht hat.
Auch wenn wir die ganze Zeit über Sandstein liefen, irgendwie und irgendwo hatten Pflanzen eine Chance bekommen, sich auch in dieser unwirtlichen Umgebung zu entwickeln, so daß wir immer wieder an Büschen, Bäumen und kleinen Sträuchern vorbei kamen, also blühte es nicht nur im Garten Eden, auch wenn dort die besten Bedingungen herrschen, sondern auch an weniger privilegierten Stellen.
Der Kings Canyon ist auch Heimat einer aus der Zeit der Dinosaurier stammenden Pflanze, eine Palmart, die ganz plötzlich und nahezu versteckt auf unserem Abstieg in einer Reihe von Exemplaren vor uns auftauchte. Vermutlich sind das nicht die einzigen Pflanzen dieser Art, die früheren haben wir gewiß übersehen. Irgendwie kommt uns die Blattform etc. bekannt vor, aber daß es sich um eine seit Millionen Jahren existierende Palmenart handeln sollte, hätten wir wirklich ohne Hinweis übersehen.
Viel zu sehen gab es, viel gesehen haben wir; zum Glück ging ein guter Wind, der das Gehen bei der Hitze erträglich machte. Beim Abstieg lief dann Katrin wieder einmal ein Tier über den Weg, sie hatte eine sonnenbadende Echse entdeckt.
Wieder einmal schneller als für die Wanderung empfohlen waren wir am Camper zurück, den wir dann nur wenige Kilometer weiter in das Kings Canyon Resort steuerten, der auch einen Campingplatz betreibt und für den Stellplatz einen stattlichen Obolus verlangte. Von hier aus hatte man einen freien Blick auf die George Gilles Range und seinen westlichen Abbruch, der im abendlichen Sonnenlicht noch interessanter wirkte.
Den Blick ließen sich natürlich nicht nur wir, sondern auch zahlreiche der Ressortgäste nicht entgehen wobei standesgemäß am Aussichtspunkt auch eine fliegende Bar aufgebaut worden war. Während das Licht auf den Felsen intensiver hätte ausfallen können, der Blick zurück zur untergehenden Sonne brachte das farbenprächtigere Bild für den Abend.
Nicht dokumentieren können wir die überraschendste Tierbegegnung des Tages. Während Katrin im Camper dass Abendessen vorbereitete stand längere Zeit in der Nähe der offenen Campertür ein Dingo und schaute eher hungrig als interessiert zu. Als andere Camper darauf aufmerksam geworden mit Kamera anrückten, zog er langsam von dannen und machte sich wieder in sein Reich, den Nationalpark, davon. Also ein durch und durch runder und erlebnisreicher Tag, dieser 17.5.