Chile Chico nach El Chaltén

Wir waren so frühzeitig in Chile Chico angekommen, daß eine Weiterfahrt sich richtig lohnte, denn der Weg nach El Chaltén ist lang. Gegen 15:00 Uhr hatten wir die beiden Grenzkontrollen hinter uns gelassen und strebten gen Perito Moreno. Die Pampa hatte uns wieder, welch ein Kontrast zu den vorherigen Tagen mit üppigem Grün, Bäumen, Bergen, Schnee, Eis, großen und kleinen Flüssen und Bächen, stark fließend oder dahinplätschernd. Hier : nichts von alledem, stattdessen Staub, vereinzelte Grasbüschel, riesige Weite, sanfte Hügel, aufgerissene Erde und Weitsicht. An die Stelle von stark kurvenreicher Schotterpiste trat nun die sich sanft um die Hügel windende Asphaltstrasse. Und wieder einmal begegneten wir einer Mine, deren riesige Abbaufläche weiträumig eingezäunt und abgesichert war.

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Perito Moreno liegt an stark befahrenen Busstrecken, ein Quartier sollte hier zu finden sein. Wir klapperten jeden Hinweis ab, Ergebnis : entweder geschlossen oder voll belegt. Als auch unsere letzte Hoffnung, ein Hostal, das erst um 17:00 Uhr öffnete, zerstob, hieß es weiterfahren. Geplant war, von Perito Moreno aus auf dem Weg nach El Chaltén einen Abstecher ab Bajo Caracoles zu der “Cueva de las Manos”,wo sich einzigartige Felsmalereien befinden, die vor einigen Jahren auch zum Weltkulturerbe erklärt worden waren, zu machen. Wir könnten also bis Bajo Caracoles fahren und damit näher an unser “Kulturziel” für den kommenden Tag gelangen. Die Straßenkarte wies auch auf den kommenden 120 Kilometern einige “Ort”schaften auf, wir hatten auch Hinweise im Reiseführer auf Übernachtungsmöglichkeiten gefunden. Allein, es gestaltete sich sehr schwierig, ein Dach über dem Kopf zu erhalten. Bajo Carracoles, ein Ort, über den bereits Chatwin wenig nettes geschrieben hatte, eine Sechshüttensiedlung mit ins Nirgendwo gehenden Wegen, mit der einzigen Tankstelle auf den nächsten 400 Kilometern. Hier existiert ein Krämerladen mit angeschlossenem “Hotel”. Hotel ist zu viel Ehre für das, was hier geboten wird, die Preise sind jedoch hotellike.  Da auf den nächsten 250 Kilometern angabegemäß kaum eine Übernachtungsmöglichkeit besteht, mußten wir in den sauren Apfel beißen und viel Geld für wenig Komfort hinlegen. Zumindest die Duschen waren warm, der ständige Wind pfiff durch die Fensterritzen und trieb uns früh ins Bett. Hier war dann auch am eigenen Leib zu erfahren was es heißt, wenn Verbraucher oder auch die Gesellschaft einem Monopolisten gegenüber steht. Die diktierten nicht vertretbaren aber durchsetzbaren Preise müssen mangels Alternativen akzeptiert werden. In diesem “Hotel” mußten wir dann auch zu Abend essen – es wurde eines der teuersten Essen dieser Art für uns. Speisekarte gab es nicht, gegessen werden musste praktisch das, was der Koch zubereiten wollte. Also gab  es zuerst eine Gemüsesuppe, die auch nach Nachfrage voll vegetarisch war, weshalb auch Katrin diese bestellte. Die zahlreichen Fettaugen auf der Suppe ließen vermuten, die Angabe vegetarisch ist falsch. Und als dann Katrin auch noch Fleischfasern in ihrer Suppe fand, war das Maß bereits halb voll. Als “Hauptgang” gab es dann Nudeln mit etwas vegetarischer Soße und geriebenem Käse – eine Delikatesse (!?). Wir waren sehr hungrig, also aßen wir und tranken dazu unser Bier. Das Maß war dann voll, als wir die Rechnung sahen – für dieses opulente Abendmahl mit ausgewähltem Getränk durften wir gut 36 Euro auf den Tisch legen. Da wurde eine Monopolrente eingestrichen!

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Die Nacht über nahm der schon am Abend aufgefrischte Wind weiter zu.  Am Morgen wurden wir bei herrlichem Sonnenschein von einem typischen patagonischen Dauerwind in starken Böen begrüßt.

Als ich begann, unser Gepäck in den Wagen zu räumen, wurde ich von einem vor der Tür wartenden Reisenden angesprochen, ob wir zu der “Cueva de las Manos” fahren würden und ihn dann vielleicht mitnehmen könnten. Also hieß es, die Rückbank frei zu räumen und einiges auf die völlig verstaubte Ladefläche umzuladen. Da es im Reiseführer zum Thema Öffnungszeiten der “Cueva” hieß, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, machten wir uns dann auch bald auf den Weg und kamen gegen 10:00 nach langer Schotterpistenfahrt an. Leider war die Welterbestätte ohne Führer nicht zu besichtigen; die nächste Führung war für 11:00 Uhr angesetzt. Also hieß es warten. Nach und nach trafen weitere Reisende ein, so daß dann die Führerin mit etwa 16 Personen im Schlepptau durch den stark böigen Wind zu den Felsmalereien ging. Wir hatten ja bereits in der Nähe von Cerro Castillo die “Manos de Cerro Castillo” besucht und waren dort enttäuscht über das Vorgefundene. Hier kamen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Vor fast 9.400 Jahren haben die Ureinwohner Patagoniens, Jäger, Höhlenbewohner, nicht sesshaft, hier mit einfacher Technik mitgeteilt, ich war hier, indem sie ihre Hände in Negativtechnik abbildeten, Szenen aus dem Jagdleben darstellten, Tiere wie den Puma gezeichnet haben, auf ihr Leben hinwiesen. Insgesamt sollen etwa 800 Abbildungen existieren, von denen wir sicherlich die allermeisten zu Gesicht bekamen. Sie befanden sich durch einen riesigen Felsvorsprung geschützt auf den zurückliegenden Wänden in Nachbarschaft zu einer großen Höhle. Und das nicht nur in einer, sondern in unterschiedlichen Farben (rot, ocker, gelb, weiß, schwarz, violett). Wir waren mehr als beeindruckt, zu welcher Leistung die damals hier Lebenden in der Lage waren, bedeutete dies auch gelernt zu haben, wie Farben hergestellt werden können, was als Bindemittel verwendet werden kann und wie die Farbe in Negativtechnik aufgebracht werden kann. Uns wurde erklärt, um ein Negativbild der Hand mit z.B. rotem Umriss zu erzielen, wurde die Hand auf den Fels gepresst und die Farbe aus dem Mund auf die Hand und die diese umgebende Wand geblasen. Erstaunlich für uns, daß die damals verwendeten Farben auch heute noch, wenn auch oft blass, gut sichtbar sind! Die Warterei wie auch die Fahrt hatten sich wieder einmal sehr gelohnt.

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Wir hatten unserem rumänischem Mitfahrer angeboten, ihn wieder mit zurück zur Tankstelle zu nehmen; er hatte die Hoffnung, von dort wie geplant weiter in Richtung Chile Chico/Perito Moreno zu kommen. Angesichts der Fahrzeugdichte, wir zählten später auf fast 600 Kilometern weniger als 10 entgegenkommende Fahrzeuge, waren seine Chancen weiter zu kommen, gering. Am Ende der Führung kamen wir kurz mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch, aus Spanien wie sich herausstellte. Wie üblich – woher, wohin. Als sie dann äußerten in Richtung Chile zu fahren habe ich spontan gefragt, ob sie nicht unseren jungen Freund, studierter Biologe mit einigen Jahren Studium in Deutschland (Münster), nicht nach Perito Moreno mitnehmen könnten. Für die beiden älteren Herrschaften war es keine Frage, natürlich ja, und so war dieser Tag auch für ihn ein Glückstag.

Gegen 12:30 Uhr waren wir wieder im Auto und hatten bis El Chaltén gute 600 Kilometer vor uns. Wir wußten, die Zeit war knapp, denn mehr als durchschnittlich 70-80 Kilometer die Stunde sind kaum zu schaffen bei diesen Straßenverhältnissen und es drohte eine Ankunft im Dunkeln. Zu unserem Glück hatte der argentinische Staat einen Teil der RN 40, der wir immer weiter nach Süden folgten, geteert, gute 200 Kilometer waren jedoch heftig geschottert und teilweise hinsichtlich des Straßenunterbaus im Bauzustand. Wir scheuchten unsere rote Gefahr ganz schön, Fotostops gab es selten. Weniger wegen der Zeitknappheit, sondern vor allem – es gab schier nichts zu fotografieren, fast nichts. Wir fühlten uns in die ersten 2 Wochen unserer Fahrt in den Norden Chiles zurückgeworfen, als auch eine immer gleiche Landschaft, mehr Wüste als Steppe, an uns vorbei rauschte.  Einen Unterschied gab es : in Chile waren Berge zu sehen, hier Weite, nichts als endlose Weite, zum Glück nicht platteben, sondern mit der einen oder anderen Geländewelle versehen. Es war langweilig für die Augen, erleichterte die Konzentration auf das Fahren. Einzig während der ersten 1 1/2 Stunden Fahrt begleiteten uns im Westen sichtbare weiß bedeckte Andengipfel, eine kleine Abwechslung in dem ewig braunen, beigen Einerlei um uns herum.

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Die Überschrift für den heutigen Tag könnte auch lauten : Fahrt durch einen Tierpark. Uns war bekannt, daß in der Steppe/Pampa, durch die wir heute fahren, auch Guanakos beheimatet sind. Gemeinhin sind dies sehr scheue Tiere und machen sich davon, sobald sie nur den Anschein einer Gefahr wittern. Wir hatten in den zurückliegenden Wochen öfter das Glück, aus weiter Ferne kleine Gruppen dieser Tiere zu sehen, auch zu fotografieren. Am heutigen Tag trafen wir nicht einzelne oder kleinste Gruppen Guanakos, nein ganze Herden kreuzten teilweise unseren Weg oder waren nah an unserer Piste und ruhten, grasten. Geschätzte 30 und mehr Tiere umfasste jede der zahlreichen Tiergruppen des Tages. Ihr Verhalten war immer gleich. Wurden wir wahrgenommen, sahen die Tiere das Auto, brach eine Art Panik aus. Befanden sich die Tiere in der Nähe der Straße, häufig sogar zwischen dem die Straße links und rechts “begleitenden” Drahtzaun, wurde es für die Guanakos sehr problematisch; einige rasten vor uns her oder auf der Straße uns entgegen, statt, wie einige Artgenossen, sich mit einem Sprung über den Zaun in Sicherheit zu bringen, andere sprangen auf die Straße, um auf die andere Seite zu gelangen, ein anderer Teil stob rechts und links in die Steppe. Als Herdentier versuchen die Versprengten natürlich, der Herde zu folgen, kehren also zurück und kommen wieder auf der Straße in Schwierigkeiten. Wie verhält man sich als Autofahrer, anhalten und abwarten, langsam an den verängstigten Tieren vorbeifahren; aber was macht man, wenn auf einmal ein Guanako beim besten Willen nicht über den Zaun springen will und beginnt, neben uns herzulaufen, bei Tempo 50-60? Und dann wird plötzlich kurz vor der Kühlerhaube ein rasanter Bogen gelaufen und über den gegenüber liegenden Zaun gesprungen. Dies vor Augen ist verständlich, wenn darauf hingewiesen wird, nicht in der Dunkelheit zu fahren; diese Tiere sind nicht einzuschätzen.

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Also haben wir heute die Zahl der gesehenen Guanakos in freier Wildbahn mehr als verdreifacht. Auch die Ausbeute an gesehenen Nandus war groß, insbesondere der Nandumütter mit ihrem bis zu 8 Jungtieren umfassenden Nachwuchs. Hier hatte das Muttertier alle Flügel voll zu tun, als sie uns gehört/gesehen hatte, ihre Nachkommen anzutreiben und das Weite zu suchen.

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Während wir auf die Straße kreuzende Hasen kaum mehr achten, bemerkten wir plötzlich weit vor uns ein Tier, das in überschaubarem Tempo aber zielstrebig die Erdpiste überquerte. Langsam näherkommend die Erkenntnis – ein Gürteltier, bisher noch nicht zu Gesicht bekommen. Endgültig stehen bleiben, die Kamera greifen und die Tür öffnen war fast eins, den Blick immer auf die Stelle gerichtet, an der das Tier zuletzt gesichtet wurde. Langsam dieser Stelle nähernd bestätigte sich die Vermutung, ein Gürteltier. Aber bevor ich die Kamera in Position gebracht hatte, begann das Tier davon zu laufen. Mit seinen kleinen Füßen und den ständigen Haken, die es schlug, war es wohl für Katrin eine Freude, mich hinter dem Objekt meiner Fotobegierde hinterher laufen zu sehen, die Kamera immer im Anschlag. Ich drückte, wenn ich glaubte, das Tier könnte sich im Aufnahmebereich befinden, auf den Auslöser. In der Hoffnung, irgend eines der Fotos könnte das Tier erfasst haben, ließ ich den kleinen Kerl dann in Ruhe.

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Heute herrschten auch am Abend keine idealen Wetterbedingungen, insbesondere nicht für diejenigen wie wir, die hofften, bei der Anfahrt auf El Chaltén schon von weitem die majestätisch aus der Ebene herausragenden Bergmassive in voller Pracht bestaunen zu können. Wieder einmal machten tiefhängende Wolken uns einen Strich durch die Rechnung; wir sahen zwar etwas Berg, aber nur den eigentlich nicht ganz so imposanten Fuß der Bergketten. Man kann erahnen, was sich hinter den Wolken verbirgt, wir bekommen Lust, mehr von dem zu sehen – deshalb sind wir ja nach El Chaltén gekommen.

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Auch wenn die Fernsicht eingeschränkt war; am Lago Viedma vorbeifahrend war schon sehr deutlich die in den See gleitende Gletscherzunge des Glacier Viedma, Teil des südlichen Gletscherfeldes, zu sehen und davor schien ein abgebrochenes großes Gletscherteil zu schwimmen.

El Chaltén war um 19:15 Uhr erreicht, früher als ursprünglich erwartet; wir wurden auf Grund des immer stärker werdenden böenartigen Windes förmlich in den Ort hineingeblasen. Mit einem von der Touristeninformation abgegriffenen Ortsplan bewaffnet fuhren wir einige Hostals ab. Erste Feststellung : es gibt eine große Auswahl an Unterkunftsmöglichkeiten; zweite Feststellung/Erfahrung : obgleich noch keine Hochsaison, die preiswerteren Unterkünfte sind ausgebucht bzw. nicht im gesamten von uns gewünschten Zeitraum frei; dritte Erfahrung : hier wird es richtig teuer, ein Dach über dem Kopf zu haben. Mit dem Hinweis Barzahlung war kein Rabatt zu erzielen. Das Quartier, in dem wir dann uns für 5 Nächste einquartierten, war/ist jedoch sein Geld wert; riesiges Zimmer, Fußbodenheizung, tolles Bad, ein den Gästen zur Verfügung stehender Wohnraum, wie man sie in den Berghütten vorfindet mit einem riesigen Kamin, das alles auf einem extrem großen Grundstück – einfach toll, diese Posada Altas Cumbres. Und als i-Tüpfelchen trafen wir hier dann auf unsere Reisebekanntschaft aus London, Phil und seine Frau, die länger in Puerto Rio Tranquilo geblieben waren und über drei Busfahrten, die letzte von Chile Chico nach El Chaltén dauerte 10 Stunden, am Vorabend angereist waren.

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Was windchill bedeuten kann, erfuhren wir dann auf dem Weg zu einem Restaurant. Es gab zwar Plustemperaturen im niedrigen einstelligen Bereich, der fortwährende schneidende Wind ging jedoch durch unseren dünnen Fleece und die Hosen – saukalt, unangenehm, Wasser auf Katrins Mühle, hier sei es nur noch kalt und unangenehm. Zum Glück hatte unser Wirt gut geheizt, was die Stimmung zur Nacht wieder angehoben hat.

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