Der Küste entlang nach Napier

Nachdem wir das größere Einzugsgebiet von Wellington nach gut 40 Kilometern bei Upper Hut endlich hinter uns gelassen hatten, konnten wir der Umgebung wieder mehr Aufmerksamkeit widmen. Und sofort fallen wieder Hinweisschilder auf neben der Straße liegende beachtenswerte Orte auf, wird angehalten, abgebogen und geschaut. So landeten wir auch am Rande des Kaitoke Regional Parks, blickten auf die zwei künstliche Seen umgrenzenden Wälder und hörten nichts, es war ruhig, bis auf das ohrenbetäubende Geräusch der Zikaden. Die scheinen sich hier überall festgesetzt zu haben.

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Und wieder ging es kurvenreich bergauf, eine Hügelkette, deren Maximalpunkt bei gut 700 Metern liegt, musste überwunden werden, um anschließend durch mindestens ebenso viele Kurven gen Tal zu fahren, nicht zu rasen. Der Camper schaukelt bei schneller Kurvenfahrt ganz schön, da geht man lieber zu viel vom Gaspedal als daß man in Schräglage durch die Kurve rutscht.

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Als die Ebene uns wieder hatte, blieb das auch lange Zeit bis Masterton so. Wir waren im Herzen des Schafslandes angekommen, Masterton seine Hauptstadt. Wie im übrigen man hier viel Wert darauf zu legen scheint, von irgend etwas die Hauptstadt, der wichtigste Vertreter etc. zu sein. In dieser alle überragenden Schafsstadt finden hier natürlich auch entsprechende Wettkämpfe statt, so z.B. im Schafsscheren. Wir sind eine Woche zu früh angekommen, um an diesem Spektakel teilnehmen zu können, nicht als Aktive, aber als Passive.

Der Campingplatz in Masterton zählt mit zu den besten, die wir bislang besucht haben, viel Grün, sehr gepflegt und weitläufig. Am nächsten Morgen ging es weiter auf Napier zu. Viel Neues sahen wir auf dem Weg gen Norden nicht, sondern alt bekannte Bilder zogen an uns vorbei. Schafsweiden mit oder ohne Schafe, manchmal interessante Bäume, oft sehr kahle Hügel, wenig sonstige agrarische Landwirtschaft. Die durchfahrenen Orte wiesen auch immer eine ähnliche Struktur auf, wurden als Straßendörfer mit im wesentlichen eingeschossiger Bebauung wahrgenommen, auch die Form der Geschäftsbauten war mehr oder weniger austauschbar, ein Ort stand für den anderen Pate. Kein Wunder, wenn wenig Bleibendes haften geblieben ist.

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Einen Zwischenstop legten wir im Ort Dannevirke ein. Hier soll, so heißt es, ein größerer skandinavischer Einfluß bestanden haben. Offensichtlich traute man den aus Skandinavien stammenden Männern im besonderen zu, sehr fachkundig die notwendigen Holzfällarbeiten zur Landgewinnung ausführen zu können und warb für diese Region vor allem in diesen Ländern Arbeitskräfte an. Friedhöfe können manchmal das Geschichtsbuch eines Ortes sein, die Namen auf den Grabsteinen erzählen. Auch Dannevirke, ein Ortsname, der auf einen dänischen Ursprung hinweisen könnte, hat einen Friedhof, auf dem die ersten Siedler begraben wurden. Diesen suchten wir auf. Natürlich stolperten wir auch über skandinavische Familiennamen auf Grabsteinen aus der zweiten Hälfte des 19. Jhd. Aber mindestens in gleicher Zahl sahen wir auch Familiennamen, die auf einen Bezug in den englischsprachigen Raum weisen. Selten tauchte ein Deutsch klingender Name auf. Erfreulich, wenn diese alten Grabstellen auch heute noch gepflegt werden; ob von Nachfahren oder durch die Gemeinde wissen wir nicht. Viele Grabstellen waren sehr schlicht gehalten, nur wenige fielen durch besondere Gestaltung aus dem Rahmen. Beim Rundgang fiel auf, wie oft der Hinweis, meistens bei jungen Burschen im Alter bis Mitte 30, “accidently killed” auftauchte, was auf einen Arbeitsunfall hindeutet. Auch die große Zahl von Grabsteinen und Grabinschriften für im Alter von wenigen Wochen bis zum Alter von 5/6 Jahren verstorbenen jungen Menschen machte betroffen und scheint ein deutlicher Hinweis auf die Lebensumstände zur damaligen Zeit vor über 100 Jahren in Neuseeland zu sein.

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Durch sattsam bekannte Landschaft fuhren wir zügig in Richtung Napier, in dessen näherem Einzugsgebiet es einige Winzer versuchen, auf dem Boden einen guten Wein zu erzeugen. Ab und an bemerkten wir deshalb auch den einen oder anderen kleinen Flecken, der mit Rebstöcken besetzt war.

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Hastings liegt 20 Kilometer vor unserem Zielort Napier, eigentlich ein Grund, hier einfach durchzufahren. Da Hastings aber das selbe Schicksal wie Napier durch das große Erdbeben 1931 erfahren hatte und ebenfalls in dieser Zeit seine Innenstadt – und nicht nur diese – praktisch neu erfinden musste, wollten wir das Ergebnis betrachten, zumal auch hier Art Deco Einflüsse zu finden sein sollen. Hastings ist keine wirklich aufregende Stadt, wie sollte auch, wenn sie inmitten eines von der Landwirtschaft dominierten Gebietes liegt und die Wirtschaft der Stadt hierauf sehr stark ausgerichtet ist. Also die sattsam bekannten Geschäfte, am Reißbrett entstandener Stadtgrundriß, Boutiquen, Handelsketten, kleine Läden für dies und das, Cafés und Restaurants, Banken (nicht zu wenig). Viel interessanter für uns war, uns auf die Suche nach den Art Deco Gebäuden zu machen, die nach dem Erdbeben neu errichtet worden waren. Hilfe hatten wir von der Stadtinformation erhofft und in Form einer kleinen Broschüre auch erhalten. Hierin waren 38 sehenswerte Gebäude aufgelistet, die in Form einer Stadtrundfahrt, Länge fast 40 Kilometer (!!!), angefahren werden sollten. Und zu allem Überdruß enthielt die Übersichtskarte kaum Straßenangaben, die Ortsangaben musste man sich aus der Objektbeschreibung heraussuchen. Wenig besucherfreundlich aufgebaut war die Broschüre, fast waren wir, nachdem die ersten Versuche einige der Häuser anzulaufen nur unter Mühen gelungen waren, bereit, weitere Besichtigungsbemühungen einzustellen. Zumindest erkundeten wir einen kleinen Teil der neu aufgebauten Innenstadt, aber nicht länger mit Hilfe der ungeeigneten Broschüre. Eigentlich schade um die Mühe, die man sich bei der Erstellung gemacht hat, leider dabei vergaß, eine benutzerorientierte Gestaltung zu verfolgen. Eines vorab : es gab weit mehr Art Deco-Style Gebäude in der Stadt als die Broschüre aufgeführt hat – das war auch gut so, denn uns ermöglichte es in einer guten Stunde Spaziergang ein großes Spektrum der Gestaltung zu entdecken. Daneben konnten wir vereinzelt auch Einflüsse des spanischen Missionsstils erkennen in einer Stadt, die so richtig erst Ende des 19. Jhd. an Bedeutung, als Standort für einen Eisenbahnbahnhof und als Wohn- und Arbeitsort, hinzugewann. Die prosperierende Landwirtschaft im Umland strahlte, nachdem das Moorland trockengelegt worden war, auf die Stadtgründung ab. Wir haben alte Fotografien sowohl von Hastings als auch Napiers Innenstadt nach dem Erdbeben gesehen, wenig stand noch an seinem Platz, die Zerstörung war umfassen. Auch sehr solide Bauten wie das der Zentralbank oder Verwaltungsgebäude und Krankenhäuser haben das Erdbeben nicht überstanden. Umfassend war der Neuaufbau, der offensichtlich wegen der Wirtschaftskrise im Land nicht leicht zu finanzieren war. Andererseits hatte die Depression auch für ein Arbeitslosenheer gesorgt, das nun teilweise im Bau Beschäftigung finden konnte. Will man den Baustil erkennen, muß man mit in den Nacken gelegtem Kopf durch die Straßen gehen oder noch besser, immer die gegenüberliegende Straßenseite oberhalb des Erdgeschosses betrachten, dann wird man fündig. Von uns anfangs als enorme Bausünde eingeschätzt, die oberhalb des Erdgeschosses angebrachten weit ausgelegten und auch den Fußweg beschattenden Vordächer, immer und überall mit grässlichen Werbeinschriften an ihren Stirnseiten versehen, waren zumindest bei einigen Häusern Bestandteil der architektonischen Gestaltung. Dies war an den Ankern erkennbar, mit denen die Vordächer an der Fassade befestigt worden waren. Man, auch wir, lernt eben dazu, auch wenn wir nach wie vor diese werbetragenden Vordächer in dieser Form nicht als gelungen betrachten. Schlicht, ohne Schickschnack der Werbung, ja. So die gegenüberliegenden Häuserfronten abscannend durchkreuzten wir das Städtchen und trafen auf eine Vielzahl der gesuchten Objekte. Viele hatten auch die letzten Versuche einer “Modernisierung” widerstanden, strahlten in alten Farbnuancen und den ursprünglichen Applikationen und Verzierungen. Erschreckend für uns war jedoch oft der eklatante Widerspruch zwischen der Ästhetik des Hauses und der Warenpräsentation, Schaufenstergestaltung, Werbung im Erdgeschoss. Oft grausam! Positiv herauszuheben ist das Gebäude von Westermann & Company, heute auch Standort der Touristeninformation, sowie das Stadthaus; aber auch viele andere Häuser waren prachtvoll. Somit konnten wir uns in Hastings einen ersten sehr umfassenden Eindruck von dem verschaffen, was es nach eigener Werbeaussage in Napier in Potenz geben soll. Schön war bei unserem Rundgang auch ein Haus zu finden, das offensichtlich dem großen Beben  getrotzt hatte und auch heute noch als vollständig aus Holz bestehendes Haus steht und in Gebrauch ist.

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So blieb dann nur noch die Weiterfahrt nach Napier und die Suche nach einem möglichst stadtnahen Campingplatz auf der Agenda des Tages, die wir erfolgreich abarbeiteten.

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