Das Schicksal hat es gut mit uns gemeint, denn wir kamen nach Napier, als das Tremains Art Deco Weekend stattfand. Mehr zufällig erfuhren wir in einem Gespräch in Picton mit einem Ehepaar, das mit ihrem Oldtimer unterwegs war, ihr Ziel sei Napier, um an diesem Wochenende an der Oldtimerparade während des Art Deco Festivals teilzunehmen. Ein Grund mehr, an unserer groben Zeitplanung festzuhalten und an diesem Wochenende in Napier zu sein.
Art Deco am Bauwerk hatten wir gestern an einigen Gebäuden in Hastings bewundern dürfen, hatten unsere Augen ein klein wenig geschult. In Hastings bekamen wir auch das Programm für dieses Wochenende in Napier in die Hand; die darin aufgelisteten und über viele Seiten kurz beschriebenen Veranstaltungen waren nicht zu zählen, geschätzte 200 Termine und Veranstaltungen waren organisiert. Als eine unter vielen darunter auch die Oldtimerparade, die um 12:30 Uhr startete.
Napier, von dem großen Erdbeben 1931 genauso betroffen wie Hastings, mußte sich damals ebenfalls baulich neu erfinden. Wie es heißt, hob sich durch das Erdbeben das Niveau der Stadt um bis zu 2 Meter, so daß es einen “Landgewinn” von 40 Quadratkilometer gab, dem Meer “abgetrotzt”. Mit ihrer heutigen Einwohnerzahl von etwas über 50.000 Menschen ist sie kaum größer als Hastings. Deutlich größer ist jedoch das Selbstbewusstsein, wie es in der Selbstvermarktung zum Ausdruck kommt. Napier ist die Art Deco Hauptstadt der Welt – was ist schon Miami in dieser Hinsicht, eher zweiter Sieger im Verständnis der hiesigen Vermarkter. Für uns ist es ohne Belang, wer im Weltmaßstab die Nase vorn hat, entscheidend ist, wie sich der Ort präsentiert. Wohl um das architektonische Erbe der Stadt aus den 30er Jahren zu bewahren, wurde der Napier Art Deco Trust gegründet, der über allen Veränderungen an den entsprechenden Häusern seine Hand hält. Gleichzeitig ist dieser Trust die treibende Kraft hinter dem jährlich stattfindenden verlängerten Art Deco Weekend, das donnerstags beginnt und montags endet. Auch hier konnten wir bei weitem nicht alle interessanten Gebäude aus der Zeit nach 1931 anlaufen, viele der Steinhäuser befinden sich auch in den Villenlagen der Stadt oder in abseits gelegenen Straßen. Das Gros der Art Deco Fassaden konzentriert sich auf ein Straßengeviert inmitten der Innenstadt zwischen der Tennysen und der Dickens Street sowie Clive Square und Marine Parade; weitere bemerkenswerte Ansichten erhält man auch im Bereich der Browning Street sowie an der Strandpromenade in Form der Sound Shell (Musikpavillon), den Kolonaden sowie dem Verwaltungsgebäude der Touristeninformation. Die folgenden Bilder können natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des Vorgefundenen zeigen, zumal oft ein ruhiges Betrachten angesichts der durch die Stadt in Festivallaune strömenden Menschenmassen kaum möglich war. Nicht jeder Bauherr verfolgte damals beim Neuaufbau den Art Deco Stil, so daß auch Anleihen beim klassizistischen Baustil wie auch Ausformungen des spanischen Missionsstils erkennbar sind. Fachleute können sicherlich mehr als wir Laien erkennen, wir waren nur interessierte Besucher.
Nicht alle Gebäude waren erdbebengeschädigt; insbesondere die Holzhäuser hielten den Beben deutlich besser als die Steinhäuser stand. So kann man auch heute noch das eine oder andere aus der Zeit der Stadtgründung und Erweiterung stammende Gebäude insbesondere entlang der Marine Parade, also entlang des Strandes, finden, aber auch auf den Hügeln oberhalb der heutigen und damaligen Innenstadt.
Nicht alle in der Stadt befindlichen Fahrzeuge hatten sich offensichtlich für die Parade angemeldet; auf unserem Spaziergang stießen wir auf einige sehr attraktive Oldtimer, die zum heutigen Tag von ihren Besitzern natürlich voller Stolz am Straßenrand stehend dem Interessierten gezeigt wurden. Alle hatten eine Straßenzulassung und obgleich die Schätze aus den dreißiger Jahren und früher nicht gerade zum Rasen verleiten, bei einem Gefährt sahen wir einen an die Windschutzscheibe geklebten diesbezüglichen Hinweis! Allen Fahrzeugen konnte man die Liebe des Besitzers zum Detail und zur Pflege des Schatzes ansehen, aber auch den Stolz des Besitzers verspüren.
Es hat den Anschein, als ob dieses Art Deco Weekend für die Bewohner der Stadt und des Umlandes den gleichen Stellenwert besitzt wie im Rheinland der Karneval. Nicht jeder aber viele der an diesen Tagen in der Stadt Herumlaufenden haben sich stilgerecht in Anlehnung an die dreißiger Jahre gekleidet. Wir zumindest kamen uns vor wie bei einem Faschingsumzug, Jecken im Zug und als Zuschauer. Mehr oder weniger die ganze Stadt war auf den Beinen, vor allem, um die Parade alter Fahrzeuge nicht zu verpassen. Einige nahmen ein Stühlchen unter den Arm, andere besetzten frühzeitig in den Gastronomiebetrieben entlang der Paradestrecke die Tische. Erkennbar frühzeitig hatte man sich also die besten Plätze gesichert, um alles genau sehen zu können. Eine ruhige und ausgelassene Stimmung herrschte. An verschiedenen Orten traten kleine Musikgruppen und Chöre auf und unterhielten das flanierende Publikum mit Swingmusik und Schlagern dieser Jahre. In die Maskerade wurde nahezu jeder einbezogen; nicht nur gestandene Bürger hatten die Kleiderschränke der Vorfahren geplündert oder sich entsprechende Bekleidung besorgt, nein auch die Kinder durften bei dem Spektakel mitwirken.
Wir kamen uns mit unserer Treckingbekleidung ein klein wenig unpassend gekleidet vor, waren aber nicht die einzigen, die aus dem Rahmen fielen. Verkleidung war zumindest keine Bedingung, um die Parade sich ansehen zu können. Eingeläutet wurde das Spektakel durch Lärm, Lärm, der von die Stadt überfliegenden alten Propellermaschinen ausging, die im Alleinflug aber vor allem im Formationsflug begeisterten.
Paraden werden im angelsächsischen Raum offensichtlich immer durch eine Militärkapelle angeführt, dann folgen die Hauptpersonen, hier die alten Fahrzeuge, die zwingend vor 1946 gebaut sein mussten. Ihre Fahrerinnen und Fahrer verstanden sich sicherlich auch als Hauptperson in dieser Aufführung und genossen den Applaus und Zuspruch vom Straßenrand. Über 300 Oldtimer fuhren an uns vorbei, fast zwei Dutzend alte Motorräder, leider nicht alle korrekt restauriert, und eine ganze Anzahl alter Fahrräder schloß sich dem Zug an. Ein Wahnsinnsbild, eine ständige Aneinanderreihung von sehr schönen ja ästhetischen Karossen wurde uns geboten. Wir hatten das Glück, neben Fachleuten zu stehen, zumindest die abgegebenen Kommentare über den vorbeifahrenden Fahrzeugtyp ließ dies vermuten. Also waren nicht nur Gaffer wie wir an der Strecke, sondern auch Experten genossen das Bild. Natürlich wurde versucht, das Schöne im Foto festzuhalten, was weitestgehend gelungen ist, mit der Folge, die Qual der Auswahl zu bereiten.
Nachdem ein Trupp Dudelsackpfeiffer den Schlußakkord geblasen hatten machten wir uns vom Acker und hatten Schwierigkeiten, uns mit unserem kleinen unscheinbaren Camper wieder anzufreunden. Viel lieber wären wir in eine der tollen alten Kisten gestiegen.