Als Jugendlicher habe ich wie viele andere das spannende Buch von Thor Heyerdahl, Kon Tiki, gelesen, mit dem in meine Wahrnehmung das erste Mal die “Osterinsel” geraten ist. Später kamen diverse Berichte über die dort gefundenen Moai hinzu, die mein Interesse an dieser so ziemlich am Ende der Welt gelegene Insel wach hielten. Rapa Nui, wie diese Insel in der Sprache der Eingeborenen heißt, ein Name, der von der chilenischen “Oberhohheit” inzwischen neben dem spanischen “Isla de Pascua” gebraucht wird, ist die am weitesten von einem anderen bewohnten Ort existierende Insel, 3.800 Kilometer von Südamerika entfernt. In chilenischen “Besitz” ist die Insel, an der offensichtlich andere Nationen, die früher ihren Fuß auf diese Insel gesetzt hatten, wenig Interesse zeigten, gekommen, indem trickreich die Inselhäuptlinge überzeugt wurden, einen Vertrag zu Gunsten Chiles zu unterschreiben. Von da an begann eine Diskriminierung der Bevölkerung von Rapa Nui, die fast ein Jahrhundert bis Mitte der 60ger Jahre andauerte. Die Bewohner der Insel hatten weder gleiche Rechte wie die Chilenen, z.B. war ihnen kein Wahlrecht eingeräumt worden, noch waren sie überhaupt uneingeschränkt chilenische Staatsbürger. Erst nachdem dieser Zustand von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wurde und die Menschenrechtsverletzungen zunehmend in den Fokus gerieten, wurden der Inselbevölkerung Zugeständnisse gemacht, ohne daß uneingeschränkte Vollmachten zum Regeln der eigenen Inselbelange eingeräumt wurden. Als vor wenigen Jahren die Notablen von Rapa Nui dem chilenischen Staatspräsidenten ihre Rechnung zur Entschädigung für das ihren Vorfahren weggenommene Land präsentierten beeilte man sich, den Insulanern in kürzester Zeit nicht nur enorme Investitionen in die Inselinfrastruktur zuzusagen, sondern diese auch zu tätigen. Darüber hinaus soll über einen uns nicht bekannten Zeitraum jährlich ein Investitionsvolumen von 20 Millionen CLP realisiert werden, bei einer Inselbevölkerung von rund 6.000 Menschen.
Für Katrin und mich war die Reise nach Rapa Nui ein ganz oben auf der Wunschliste stehendes Ziel; ein Traumziel, entsprechend gespannt waren wir, was wir so alles sehen und kennenlernen würden. Eines kann vorwegnehmend bereits jetzt festgestellt werden : es war ein nicht zu missendes Erlebnis und zumindest ein großer wenn nicht der Höhepunkt unserer bisherigen Reise. Wir mussten aber auch feststellen, wie wenig wir bislang über die Kultur auf Rapa Nui wussten; einige Wissenslücken konnten gefüllt werden, gleichzeitig entstanden immer mehr Fragen, die bislang für uns unbeantwortet blieben.
Mit mehrstündiger Verspätung startete unser LAN-Flieger von Santiago und setzte uns am Nachmittag in Hanga Roa auf Rapa Nui ab. Von der Verwalterin unserer Unterkunft, Keka, die von Rapa Nui stammend vor kurzem nach einem mehr als zwanzigjährigen Aufenthalt in Frankreich auf ihre Geburtsinsel zurückkehrte, wurden wir am Flughafen abgeholt und mit einer bunten und herrlich duftenden Blumenkette begrüßt.
Dann stand das übliche Procedere auf dem Programm, Besuch der Information, erste Orientierung im Dorf. Zum Glück ließen wir keine Zeit verstreichen. So ganz auf eigene Faust wollten wir uns die hiesige Kultur nicht erschließen und waren daran interessiert, an einer kulturhistorischen Führung teilzunehmen – und wenn diese dann auch noch in einer uns geläufigen Sprache, z.B. auf Deutsch, erfolgen würde, um so besser. Gelesen hatten wir von den sehr gelobten Führungen von Josef Schmid. Zu unserer Freude konnte die Touristeninformation uns den zielführenden Hinweis auf eine Agentur geben, die deutschsprachige Führungen bei Bedarf anbietet. Also führte uns unser erster längerer Spaziergang durch Hanga Roa zu Rapa Nui Travel. Unser Glück war vollkommen, als wir bereits am nächsten Tag an einer Eintagestour zu wichtigen archäologischen Stätten in einer Minigruppe von vier Personen unter Führung von – Josef teilnehmen konnten. Preiswert war diese Tagestour nicht, wie so gar nichts hier auf der Insel in die Rubrik gut und günstig einzusortieren ist, aber jeder Cent bzw. Peso hat sich gelohnt. Josef war genau der kundige und engagierte Führer, uns tiefer in die Geheimnisse der Inselkultur einzuführen.
Am Ende dieser Tagestour, die, auch weil Josef immer noch etwas zu berichten hatte, länger als geplant dauerte, haben wir eine Menge erfahren, aber auch erkennen müssen, wie wenig man bislang über die Inselkultur gesichert weiß.
Von den überdimensionierten Steinfiguren, den Moai, hatten wir natürlich gehört, aber welche Geschichte dahinter steht oder welche Erklärungsansätze bestehen, oft auch widersprüchlich und nicht wirklich gesichert, erfuhren wir vor Ort. Ein möglicher Ansatz lautet wie folgt :
Unstrittig dürfte die Besiedelung der Insel aus dem polynesischen Raum sein; Thor Heyerdahl, anfangs Vertreter einer Besiedlung aus Chile/Peru, konnte mit seinem Kon-Tiki-Floß-Experiment im Grunde nur belegen, wie die Meeresströmung ein Erreichen von Rapa Nui begünstigte. Zu viele Indizien, wie z.B. ein engerer genetischer Zusammenhang mit Menschen aus dem polynesischen Raum oder linguistische Vergleiche, deuten auf eine Besiedelung der Insel von Polynesien aus hin. Gesichert ist, wie im Verlaufe mehrerer tausend Jahre wohl von Asien ausgehend die westlicher gelegenen Inseln auch der Südsee nach und nach entdeckt und besiedelt wurden. Nach Rapa Nui kamen die Polynesier wohl zwischen dem 4. und 5. Jhd. unserer Zeitrechnung; über den Zeitraum streiten sich die Gelehrten, dabei liegen die Auffassungen weit auseinander; im Raum stehen Zeiten wie 450, 1450/1500 und 1150. Bei der Aufklärung kann die Urbevölkerung nicht helfen, dies aus mehreren Gründen : zum einen wurde ein großer Teil der Bevölkerung als Sklaven im 19. Jhd. vor allem nach Südamerika verfrachtet und damit das gesellschaftliche Gedächtnis zum größten Teil zerstört, da kaum einer der Sklaven überlebte, zum anderen gab es nur eine oral history, eine ausgefeilte Schrift existiert nicht und die sog. Rongorongo-Schrift, auf insgesamt noch vorhandenen 25 Holztafeln enthaltene Zeichen, sind bis heute nicht entschlüsselt. Weiteres sachdienliche Material wurde von den Missionaren, die versuchten, den vorgefundenen Kult auszulöschen, vernichtet. Es wird berichtet, daß 1877 nur noch 36 Menschen auf Rapa Nui lebten, deren direkte Vorfahren ebenfalls Inselbewohner waren. Damit war das kollektive Gedächtnis praktisch ausgelöscht. Gleichgültig wann die ersten Polynesier hier anlandeten, sie prägten die Kultur und das Leben auf der Insel. Der Sage nach erreichte König Hotu Matua am im Norden gelegenen Strand von Anakena die Insel, er war der Stammesvater aller Insulaner. Wenn in dieser Legende ein Korn Wahrheit liegen sollte, die Ankunft von Hotu Matua mit seinem Gefolge wird um 1150 verortet – was war in der Zeit von Erstbesiedlung bis zu diesem Zeitpunkt an Kulturentwicklung auf der Insel vorhanden. Gab es eine frühere Besiedlung? Und wieder entstehen offene Fragen. Der Legende nach hatte der Gründervater 3 Söhne, der älteste wurde sein Nachfolger, die beiden übrigen Nachkommen mussten, wie es anscheinend auch in Polynesien üblich war, weit entfernt neue “Niederlassungen” gründen. Dies soll an der Ost- und Westküste der Insel erfolgt sein. Andere sprechen von 6 Kindern, von denen fünf vom Hof wegziehen mussten. Dies wiederum deckt sich mit einer Darstellung im Anthropologischen Museum Sebastian Englert, auf der insgesamt sechs Siedlungsgebiete unterschiedlicher Stämme entlang der Küste verzeichnet sind. Und wieder stehen Fragezeichen im Raum. Die nächsten Generationen siedelten sich angabegemäß dann rechts und links des Stammessitzes an. Da zu jedem Ahu, also der steinernen Plattform/Tempelplattform, eine Siedlung gehört, muß es zwischen knapp 250 und fast 400 küstennahe Siedlungen gegeben haben. Durch Funde nachgewiesen sind 245 Ahus. Wieso auch hier keine Klarheit?
Eine nachvollziehbare Erklärung für die vermutlich größere Siedlungszahl liefern die in der Moai-Werkstatt im Steinbruch “Rano Raraku” gefundenen unfertigen Tuffriesen, insgesamt 397 fertige, fast fertige oder im Entstehungsprozess befindliche Moais liegen, stehen hier herum. Eine Erklärung für die Schaffung einer Moai-Figur lautet : für den jeweils Erstgeborenen des Clanoberhauptes wird eine Skulptur “in Auftrag gegeben”; sie wird dann auf dem Ahu errichtet, wenn der Erstgeborene seinem verstorbenen Vater in seiner Funktion als Oberhaupt folgt. Gleichzeitig sei der Moai des Vaters von der Plattform entfernt worden, oft in der Form, daß das Material in der Ahu-Erweiterung verbaut worden sei. Das könnte auf eine größere Anzahl von Siedlungen hinweisen, unklar bleibt jedoch, wieso bis zu 15 Moai nebeneinander auf dem gleichen Ahu stehen. Gewiß, nicht nur für das Oberhaupt des Dorfes wurde ein Moai errichtet, sondern auch für die den anderen Ständen (Priester, Krieger etc.) vorstehenden Personen. Aber eine derart tief gegliederte Gesellschaft können wir uns nicht vorstellen. Und wieder stehen wir ratlos da. Moais zu Lebzeiten sind Symbol einer Herrschaft, die mit dem Tod des Herrschers endet und folglich kann der Moai keine Wirkung mehr entfalten und gehört entfernt; dies gilt insbesondere auch dann, wenn den durch einen Moai gewürdigten Personen eine besondere spirituelle magische Kraft, mana, zugeschrieben wird, das Schicksal der Menschen positiv zu beeinflussen.
Wenn die Moais Herrschaftssymbole sind ist ihre Blickrichtung nach innen auf die Insel, denn bis auf zwei Fälle wenden alle Moais dem Meer den Rücken zu, folgerichtig, adressiert sich der Anspruch und der Blick an die Untergebenen. Auf dem Ahu Akivi, eine der beiden Ausnahmen, ist der Blick der dort befindlichen sieben Figuren nicht in das Inselinnere, sondern in Richtung Westen gerichtet. Die Abweichung von der Norm wird einerseits damit begründet, es hätte für neue Siedlungen in Meernähe keinen Platz mehr gegeben; eine weitere bezieht sich auf eine Legende, wonach der König Hotu Matua sieben Kundschafter ausgesandt hatte, um eine zu besiedelnde Insel zu finden, Rapa Nui; der Blick der sieben Kundschafter geht zurück in die Richtung, aus der Hotu Matua gekommen ist. Es darf weiter spekuliert werden.
Die Moai, deren größter mit über 21 Metern Länge noch in der Produktion war, mußten vom Steinbruch zu ihrem Bestimmungsort transportiert werden, bei einem Gewicht von vielen Tonnen ein schwieriges Unterfangen. Auf mindestens fünf verschiedene Erklärungsversuche kann man hier sich stützen! Einzig gesichert dürfte sein, daß sowohl die Produktion als auch der Transport eine logistische und koordinative Meisterleistung war und große vom Rest der Bevölkerung zu erwirtschaftende Ressourcen absorbierte.
Sieht man von einem Transporterklärungsansatz ab, bei dem die Figur stehend an seinen Bestimmungsort gelangt ist, mussten alle anderen Varianten den irgendwie liegend Transportierten am Ahu aufrichten. Geschah dies durch Aufschüttungen, gab es Hebelvorrichtungen analog Flaschenzügen? Wie gelang es die Kolosse über die eigene Sockelkante aufzurichten, ohne daß diese unter der enormen Punktbelastung zerbrach? Und wieder darf heftig spekuliert werden. Gleiches gilt bei der Frage, wie die Kopfbedeckung, die Pukao, auf den Korpus gebracht wurden – war der Kopfputz bereits beim Aufrichten der Moais an seinem Platz oder wurde er der aufgerichteten Figur anschließend aufgesetzt? Wie geschah dies, welche Hilfsmittel wurden eingesetzt?
Wie kam es zum Untergang der im Grunde hochentwickelten Kultur auf der Osterinsel, die offensichtlich bereits vor der “Entdeckung” durch Roggeveen 1722 erfolgt ist. War der Verbrauch wesentlicher Ressourcen z.B. durch Abholzen sämtlicher Bäume, unzureichende Nahrungsgrundlagen etc. entscheidender Auslöser, daß sich das Fußvolk gegen die Herrscher, denen wohl die magische Kraft, die mana, abhanden gekommen war, auflehnten und diesen Teil der Bevölkerung, die Elite mit all ihren Fähigkeiten, umbrachte. War der Ressourcenverschleiß Folge menschlichen Verhaltens oder Ergebnis der sich rasant vermehrten Ratten, die die Samen der Palmen fraßen und dadurch ein Nachwachsen der Palmen verhinderten?
Wenn das Fußvolk, in der Legende Kurzohren genannt, die sie sie Beherrschenden, die Langohren, eliminierten ist es folgerichtig, daß dann auch deren Herrschaftssymbole, die Moai umgestürzt wurden. Dieser das bestehende Herrschaftssystem umstürzende Kampf soll, so wird immer wieder berichtet, vor der Ankunft Roggeveens 1722 stattgefunden haben. Wieso sprechen Roggeveen und später im 18. Jhd. die Insel ansteuernde Seefahrer dann noch von stehenden Figuren?
Und plötzlich ist von einem Vogelmannkult (makemake) die Rede, ein mit Polynesien in Verbindung stehender Kult, der am Krater Rano Kau in Orongo hoch oben auf dem Kraterrand direkt am Meer gelegen sein Zentrum hatte. Hat dieser Kult sich eigenständig neben der Moai-Kultur entwickelt, ist er diesem nachgefolgt, hat er diesen verdrängt? Wie kam er nach Rapa Nui. Konkretes hierzu haben wir wenig bis nicht gehört, auch das Museum konnte uns mit seiner Ausstellung nicht weiter helfen. Also stehen wir da und staunen!
Vorstehende Fragen und manch weitere entstanden im Verlaufe der vier Tage auf Rapa Nui bei unseren Besichtigungen und Rundfahrten, haben unsere Neugier eher weiter geweckt als uns eingeschläfert. Es ist interessant an einem Ort zu sein und die vorhandenen Überreste einer vergangenen Kultur zu sehen, bei der sich mehr Fragen als Antworten stellen.
Wie verliefen unsere Tage auf der Insel?
Am 10.1. begaben wir uns in einem Kleinbus gemeinsam mit einigen an englischsprachiger Erläuterung Interessierten und zwei Österreichern auf unseren Tagesausflug mit Josef als unserem Guide. Natürlich kann man dabei nicht alles, aber einiges Interessantes sehen. Unser erster Stop war Vaihú/Ahu Hanga Poukura, eine idyllisch am Strand gelegene große aber stark zerstörte Anlage. Das besondere an dieser Stelle sind neben den sieben (?) von dem Ahu umgestürzten Moais die Restfundamente von Behausungen und Wohnhöhlen. Die Ahus sind flache nach vorne leicht abfallende, zum Meer hin senkrecht abgegrenzte Plattformen, auf denen die Moais ihren Platz fanden.
Die Moais lagen sämtliche auf der Gesichtsseite, sie waren nach vorne von ihrem Podest gekippt worden. Kein Gesicht zu sehen, keine Macht mehr ausübbar. Der Kopfputz, die Pukao, aus rotem Tuffgestein gefertigt und aus einem anderen Steinbruch als die Moais stammend, war ja nicht fest mit der Figur verbunden, sondern nur auf den Kopf aufgesetzt, lag im Umfeld verstreut; an einigen konnte man auch Petroglyphen entdecken. Der Ahu selber erschien nur noch als Steinhaufen; von den großen senkrecht in die Erde gesetzten seeseitigen Begrenzungsplatten waren nur noch wenige an ihrem Platz. Ein Teil der Zerstörung ist auf einen der letzten großen die Insel erreichenden Tsunamis zurückzuführen.
Nach dieser kleinen “Einstimmung” ging es zum Ahu Akahanga, einer der größten Plattformen, auf der bis zu 12 Moais mit einer Größe von 5 bis 7 Metern nach einer (oder mehreren) Erweiterungen Platz gefunden hatten. Es wird auch behauptet, dies sei die Begräbnisstätte von König Hotu Matua.
Vor dieser Plattform erstreckte sich ein mit Steinen gepflasterter Platz. Zentral gelegen war ein durch Steine gekennzeichneter runder Platz, in dessen Mitte, wie uns erzählt wurde, ein Erdofen sich befunden haben soll. Innerhalb dieses Kreises saßen nur die Notablen und speisten. Das übrige Volk hatte sich weit entfernt aufzuhalten. In Nachbarschaft zu dieser Anlage waren einfache Bauten errichtet, deren “Fundament” aus bearbeiteten länglichen Granitsteinen bestand, in deren Oberseite Löcher gebohrt wurden, um Äste aufzunehmen, die in einer Höhe von deutlich unter 2 Metern mit dem gegenüber liegenden Ast verbunden und als Dachkonstruktion dienten. Gedeckt wurde dann mit Palmblättern oder Schilf. Die Abmessungen dieser Behausung war deutlich unter 2 Meter Breite, ihre Länge konnte bis zu 100 Metern betragen; wir haben auf einem Feld im Nordwesten der Insel die Fundamente einer etwa 50 Meter langen Behausung gesehen.
Wozu dienten diese “Häuser”, die an ihrem Ende oval zuliefen? Diese Hare Paenga Häuser werden von einigen als Wohnhäuser bezeichnet, d.h. die Clanmitglieder hielten sich hier auf; andere weisen mit Nachdruck darauf hin, daß diese Häuser nur zu besonderen Anlässen benutzt wurden, z.B. wenn die Notablen zusammen kamen, zu besonderen Festen, denn die eigentlichen “Wohn”stätten lagen entfernter und bestanden teilweise für das gemeine Volk aus Höhlen. Am Weg zwischen den Hare Paenga-Häusern und u.a. der Höhle befindet sich die “Volksküche”, d.h. hier gab es Feuerstellen, an denen das Fußvolk sein Essen bei den Feierlichkeiten zubereiten konnte.
Der Rano Raraku, im Inselinnern befindlicher seit Millionen Jahren erloschener Vulkan war unser nächstes Ziel, die Geburtsstätte der Moai-Figuren. Schon von weitem kann man die ins Schaufenster gestellten Figuren erkennen (!), der Hang unterhalb des Steinbruchs ist übersäht mit Skulpturen.
Wie in einer Werkstatt üblich, sind Produkte in unterschiedlichen Stadien zu sehen, so auch hier. Herausgemeißelt wurden die Korpusse aus dem Tuffstein; oft wurden mehrere manchmal sich gegenüber liegende Figuren auf engstem Raum bearbeitet, manchmal wurde in unterschiedlichen Ebenen des Steinbruchs übereinander gewerkelt. Probleme gab es nur, wenn die höher befindliche früher fertiggestellte Figur über eine aus Geröll/Erde aufgeschüttete Ebene, die auch vorläufig das tiefer gelegene Produkt verschüttete, nach grober Fertigstellung nach unten und in die Senkrechte transportiert bzw. gebracht werden mußte.
Über diese schiefe Ebene wurden die zumindest auf der Vorderseite fertiggestellte Kolosse in eine Kuhle abgesenkt und darin aufrecht zum stehen gebracht, um dann die bislang unzugängliche Rückenpartie zu bearbeiten. Inwieweit es sich bei den im Erdboden steckenden Moais um zum Transport bereit stehende also fertige Figuren oder noch weiter zu bearbeitende handelt, kann an der Dimensionierung der Rückenpartie festgestellt werden.
Auch auf Rapa Nui gab es den Hang zum Größenwahn, denn wie ist sonst zu erklären, daß immer größere Moai hergestellt werden mussten, deren Transport immer aufwendiger wurde? Der Superlativ steckt noch im Felsen; ausgehend von seiner Kopfgröße wird das angestrebte Schlußmaß auf über 21 Meter geschätzt.
Die ersten Moai wurden offensichtlich nicht aus dem weicheren Tuffstein, sondern aus einem Basaltstein sehr aufwendig geschlagen. Ein hier aufgefundener unterscheidet sich sehr wesentlich von den wahrscheinlich später hergestellten Figuren, denn er ist knieend und mit deutlich mehr Details dargestellt. Blieb er vor Ort, weil die Verwendung aus Tuffstein auf lange Sicht sinnvoller war, war jemals seine Verwendung auf einem Ahu vorgesehen, warum ist dieser Moai in knieender Position dargestellt? Jeder, auch sein Entdecker Thor Heyerdahl hat da so seine Theorie – wir genießen den Anblick, anstatt uns den Kopf zu machen.
Der Ort Rano Raraku hat uns stark beeindruckt; angesichts der kaum zu überschauenden in unterschiedlichen Herstellungsstadien befindlichen Moais war es nicht möglich zu prüfen, ob wirklich fast 400 Steinkörper sich hier befinden. Der eine oder andere ist sicherlich, da in größerer Entfernung zur Produktionsstätte beschädigt im Erdreich liegend, auf dem Transport verunglückt, die überwiegende Zahl dürfte jedoch noch auf seinen Abtransport gewartet haben, als die Arbeiter ihre Tätigkeit einstellten. Eines ist hier auch erkennbar : diese Figuren wurden nicht zerstört, der Kopf und somit die Augen zu Boden gerichtet. Offensichtlich bekamen die Moais erst dann “Leben” eingehaucht, wenn ihnen die weißen Augen nach Aufrichtung auf dem Ahu eingefügt worden waren.
Hatten wir bislang Ahus in ihrer zerstörten Form besucht, konnten wir am Ahu Tongariki die Dimension einer vollständigen Anlage, nach Restaurierung und Wiederaufrichtung der gestürzten Moais wahrnehmen. Und der Blick war beeindruckend. Schon vom Rand des Vulkans Rano Raraku war in der Ferne dieser Ahu zu erkennen, aber aus der Nähe erschloß sich seine Größe und die Schönheit in der ausgewählten Umgebung. Wir standen vor der größten Ahu-Anlage auf der Insel, deren Zerstörung durch den Tsunami und die folgende Flutwelle in 1960 dann vollständig war. !5 nach alten Fotos restaurierte und wiederhergestellte Moais stehen hier nebeneinander aufgereiht, keiner gleicht dem anderen. Unterschiedliche Gesichtszüge und –formen, große und kleinere Körper, alle erscheinen irgendwie besonders individuell gestaltet zu sein. Nur auf einem Kopf ist eine Pukoa aufgesetzt, bei den übrigen hat man darauf verzichtet, obgleich die Bruchstücke vorhanden sind. Ob es Geldmangel oder aber die Erkenntnis war, durch diese Unvollkommenheit die Vollkommenheit der Figuren zu unterstreichen, wissen wir nicht. Majestätisch stehen sie hier in ihrer Größe und Erhabenheit und beeindrucken den Betrachter nachdrücklich. Hinter dem Ahu und seinen Figuren das azurblaue Meer, ein gigantischer Anblick für den Besucher, wie auch die Moai einen tollen Ausblick auf den Vulkan Ranu Raraku hatten.
Im Zuge der Restaurierungsarbeiten und bei Durchsicht des Steinhaufens konnten auch einige Artefakte früherer Skulpturen gesichert werden, die Bestandteil des Ahus als Baumaterial waren.
Dann ging es weiter zum Nabel der Welt, Te Pito o Te Henua, ein Ort, den im Grunde wenig mit der Geschichte der Insel verbindet, an dem sich aber ein fast kugelförmiger Stein und mehrere kleinere Kugeln befinden, die auf Grund ihres hohen Erzanteils in der Lage sind, Kompassnadeln nicht nur abzulenken, sondern zum Kreiseln zu bringen. Also eher etwas für Dänikenfreunde oder Esoteriker. Da auf dem Programm als kleine Absurdität stehend, verbrachten wir hier wenige Minuten.
Auf Rapa Nui kann man nicht nur der alten Kultur der Urbewohner nachspüren, sondern auch an historischer Stätte baden. Der Strand von Anakena ist nicht nur der Ort, an dem der König anlandete, sondern zugleich auch der größte und schönste Sandstrand der Insel. Meistens wird diese Bucht wegen der schönen Bademöglichkeiten, dem Strand, dem durch Palmen gebotenen Schatten besucht, weniger wegen der Überreste ehemaliger Ahus oder der aufstehenden Moais. Wir widmeten uns dem Strandleben, gingen also in der Bucht schwimmen, und “besuchten” die im Umfeld des Strandes wie zufällig herumstehenden Kulturgüter.
Tag eins unseres Rapa Nui Aufenthalts hat uns einen ersten Einblick in die Kultur vor Ort verschafft. Den zweiten Tag haben wir dann der dieser Moai-Kultur folgenden Vogelmannkultur gewidmet, indem wir uns auf den Weg zum am südwestlichen Inselende liegenden Vulkankrater Ranu Kau und der dort befindlichen Kultstätte Orongo machten. Vor das Kulturerlebnis wurde wieder einmal der Schweiß gesetzt. Auch wenn die zu Fuß von Hanga Roa hinauf zum Vulkankrater zurückzulegende Strecke weit unter unseren sonst bewältigten Distanzen lag, die enorme Hitze, deren Wirkung zum Glück manchmal von einem Lufthauch gemildert wurde, ließ die Strecke ins Unendliche wachsen.
Rapa Nui wird, zumindest ab und zu, auch von Kreuzfahrtschiffen angelaufen. Seit gestern Mittag liegt ein solcher Dampfer von Hapag-Lloyd auf Reede und zighundert Gäste werden an Land gebracht, um im Schnelldurchlauf etwas über Rapa Nui zu erfahren, denn nach 24 Stunden Aufenthalt, d.h. heute Mittag, wird der Anker wieder gelichtet. Und so kamen uns kleine Gruppen von Kreuzfahrtgästen an der Küste entlanglaufend entgegen; für einen wirklichen Abstecher zu den Kulturhöhepunkten war die Zeit zu knapp. Unser Weg hinauf zum Krater führte am kleinen Fischereihafen vorbei und direkt an der teilweise schroffen Küste entlang.
Auf halben Weg zum Krater kann eine Kulthöhle, die Ana Kai Tangata besucht werden. Der Name kann einerseits mit “Höhle der Kannibalen” übersetzt werden, andererseits auch als Ort, an dem man sich traf. Zeitlich zuzuordnen ist diese natürliche Höhle der Periode des Vogelmannkultes, der sich, so einige Quellen, ab dem 15./16. Jhd. parallel zur Moai-Kultur entwickelt haben soll, andere sprechen von einer der Moai-Kultur nachfolgenden Kulturepoche. Viel ist in dieser Höhle nicht mehr zu sehen; nur noch wenige der ursprünglich vorhandenen Felszeichnungen sind zu erkennen; es soll sich um Zeichnungen von Vögeln handeln. Spekuliert wird über einen Bezug zum Vogelmannwettkampf.
Dann ging es, teilweise im Schatten eines kleinen Waldes und von einem Katrin zugelaufenen Hund begleitet stetig bis zum Kraterrand hinauf. Als wir endlich die 300 Höhenmeter hierhin überwunden hatten, bot sich uns ein fantastisches Bild. Unter uns der Kratersee, etwa 200 Meter tiefer mit Wasser gefüllt und langsam zuwachsend, vor uns durch einen Durchbruch im Kraterrand sichtbar der Ozean. Gute 1,4 Kilometer soll der Durchmesser des Kraters betragen; wir können, da diesen weitestgehend umwandert, bestätigen, die Strecke kommt einem noch viel länger vor als Durchmesser x pi!
Auf der im äußersten Südwesten des Kraterrandes liegenden Klippe wurde die mit Orongo bezeichnete Kultstätte für den Vogelmannkult errichtet. Ahus (bis auf eine Ausnahme) und Moais sucht man hier vergeblich. Stattdessen trifft man auf annähernd 50 Steinhäuser, deren Wände aus aufeinander aufgeschichteten Steinplatten bestehen, als Abdeckung ebenfalls Steinplatten verwendet wurden, die dann begrünt wurden. Die winzigen Eingänge in die Häuser sind wohl nur als Kriecheingänge zu bezeichnen, ob aus Schutz vor Eindringlingen, um böse Geister vom Betreten der Häuser abzuhalten? Zumindest erlaubt das Vorgefundene sich einen Einblick in die Bauweise der Häuser zu verschaffen, als einzelne in ihrem unrestaurierten Zustand belassen worden sind.
Von hier oben hat man auch einen einzigartigen Blick auf die der Inselspitze vorgelagerten kleinen Eilande, die im Rahmen des Vogelmannkultes eine besondere Bedeutung besitzen.
Der Kultbereich Orongo war nicht dauerhaft bewohnt sondern wurde einmal jährlich für ein besonderes kulturelles Fest um den Frühlingsanfang herum genutzt. Im Rahmen einer jährlichen Zeremonie versammelten sich an dieser Stelle die Clanchefs um in einem Wettkampf denjenigen zu herauszuheben, der als erster ein Seeschwalbenei von den vorgelagerten Felseilanden, auf dem diese Vögel nisteten, zur Kultstätte brachte. Natürlich traten die Clanchefs nicht persönlich an, sondern ließen aus ihrem Clan den geeignetsten den “Vortritt”. Der Clanchef, aus dessen Clan der Sieger des Wettbewerbs hervorging, sollte die Geschicke der Insel für ein Jahr lenken. Er (oder vielleicht doch der an seiner Stelle im Wettbewerb Erfolgreiche) war für ein Jahr der Vogelmann und galt als “heilig”, musste dafür aber den Preis eines gewissen zurückgezogenen und enthaltsamen Lebens “zahlen”. Angesichts der in Orongo an seinem zentralen Zeremonieplatz in großer Zahl gefundener Petroglyphen, die auf den Gott Makemake verweisen, wird auch eine Verbindung zu Fruchtbarkeitsriten vermutet. Uns blieb nur ein aus großer Entfernung möglicher Blick auf diesen leider weiträumig abgesperrten Platz mit seinen Petroglyphen und weitere Fragezeichen auf der Stirn bildeten sich. Ersetzte der makemake-Kult den Moai-kult; war der Wettstreit um die quasi Regentschaft für ein Jahr der Versuch, die divergierenden Claninteressen unter einen Hut zu bringen oder zumindest zu versöhnen, da der Sieger doch über besondere Fähigkeiten verfügte und somit für alle die bestmöglichen Entscheidungen würde treffen können? Schön war der Ausflug zum Krater Ranu Kau, aber gleichzeitig entstanden neue Fragen.
Den Rückweg von Orongo zu unserem Quartier hatten wir anders geplant als dieser tatsächlich verlief. Von Josef hatten wir den Hinweis erhalten, daß man von der anderen Kraterrandseite hinunter an die Küste laufen kann und auf dem Rückweg nach Hanga Roa nicht nur tolle Ausblicke hat, sondern auch noch das Ahu Vinapu besuchen kann. Wir liefen fast um den gesamten Krater, ohne einen einigermaßen passablen Weg in die richtige Richtung zu finden und waren deshalb zu einem riesigen Umweg hin zu unserem Quartier gezwungen. Bei diesen hohen Temperaturen über Gebühr lange ohne Schatten zu laufen, bereitete mehr Frust als Freude.
Am Vorabend hatten wir nur aus der Ferne unseres Quartiers ahnen können, wie schön der Sonnenuntergang über dem Meer war. Diesen Blick wollten wir auch einfangen und machten uns rechtzeitig in Richtung Dorf und Strand auf den Weg. Aber welcher Ort ist passender für einen Untergang, als eine alte Kultstätte? Etwas nördlich von Hanga Roa befindet sich die rekonstruierte Zeremonieanlage Tahai, die aus drei verschiedenen Ahus besteht. Heute wollten wir jedoch nicht die Anlage besichtigen, sondern uns der Abendstimmung hingeben. Offensichtlich waren auch einige der im Grunde nicht sehr zahlreichen Touristen auf der Insel auf den gleichen Gedanken gekommen. Als wir eine gute halbe Stunde vor dem Sonnenuntergang auf dem Gelände ankamen, saßen sie schon zahlreich auf dem Rasen, hatten Decken ausgebreitet um ein der Stimmung entsprechendes abendliches Picknick zu genießen und warteten. Wir gesellten uns dazu und schauten minutenlang gen Osten, an den vor uns stehenden großen Moais vorbei auf das Meer und in die sich langsam dem Horizont nähernde Sonne. Ein Traumsonnenuntergang wurde durch die Wolkendecke leider verhindert, dennoch entstand in dieser Zeitspanne unseres und aller Wartens eine wunderschöne Stimmung. Das sonst so geschäftige Treiben, das ständige Gegacker der Touristen schlief ein, es entstand eine große Ruhe auf der Anlage, die nur von wenigen Fotografen, die ihr Stativ mit Kamera(s) geschäftig über das Plateau auf der Suche nach dem bestmöglichen Standort schleppten, gestört wurde. Sehr schöne Minuten hier an der Ostküste von Rapa Nui, die Bilder können nur ein wenig von der tatsächlichen Stimmung einfangen.
Für den 12.1. hatten wir uns eine Wanderung entlang der Westküste von Hanga Roa aus in Richtung Norden vorgenommen. Bei großer Hitze und mit genügend Wasservorräten bepackt machten wir uns relativ früh am Morgen auf den Weg. Am Vorabend hatten wir ganz in Ortsnähe einige im Boden steckende Skulpturenköpfe gesichtet, die wir uns näher ansehen wollten. Ob dieser “Fund” wirklich von kultureller Bedeutung oder einfach ein fake ist, können wir nicht beurteilen. Zumindest überrascht waren wir, diese Köpfe in im Boden befindlichen Felsen zufällig entdeckt zu haben.
Die Anlage Tahai mit seinen insgesamt drei sehr unterschiedlichen Ahus war die nächste Wegstation. Neben den weitgehend restaurierten Ahus und aufstehenden Moais sind hier rekonstruierte Überreste von Kochstellen, Hausfundamente, Zeremonieplätze und Wohnhöhlen sichtbar. Optisch im Zentrum steht der Ahu Vai Uri, auf dem sich fünf archaisch wirkende, teilweise nur aus großen Fragmenten bestehende Moai, alle ohne den Kopfschmuck, die Pukao, befinden. Sie sind groß, wirken auf den Davorstehenden sogar riesig, messen aber nur maximal 5 Meter. Ihr Entstehungsdatum soll im 12. Jhd. liegen. In gebotenem Abstand, direkt neben der Hafeneinfahrt zur damaligen Zeit, wie sowohl an der kleinen neben dem Ahu zum Wasser führenden Rampe wie auch durch das sich dahinter öffnende Becken, das sogar zum Schwimmen einlädt, sichtbar wird, befindet sich der wohl älteste Moai der Insel, der auf das 7. Jhd. datiert wird: Er steht auf dem Ahu Tahai, ist stark verwittert und wirkt in seiner Form sehr grobschlächtig, als wenn die Expertise der Steinmetzkunst noch nicht voll entfaltet gewesen sei. Der dritte Ahu auf diesem Zeremonieplatz, wiederum etwas weiter nördlich gelegen, ist wegen seines nahezu vollständigen Erscheinungsbildes – er trägt die Pukoa – der eindrucksvollste. Diese Moai-Figur ist die einzige auf der Insel, bei der die Restauratoren die nachgebildeten Korallenaugen wieder eingesetzt haben. Es steht wirklich majestätisch und machterheischend dar, ja fast bedrohlich vor dem Hintergrund der Weite des Pazifiks. Die Augen leuchten intensiv, ja fast starren sie den Besucher an. Der Ahu Ko te Riku und seine Figur soll auf das 12. Jhd. zurückgehen.
Unweit dieser “Großanlage” befindet sich das Museo Antropologico Sebastián Englert, das auf die Funde, Sammlung und Forschung des deutschen Missionars Englert m.E. bis Mitte des 20. Jhd. zurück geht. Es ist ein kleines Museum, das der Bedeutung des Ortes, der Kultur und des Forschungsstandes zumindest in seiner Präsentation nicht ganz gerecht wird. Hier im Museum sollen zwar sämtliche sich mit der Erforschung der Kultur auf Rapa Nui befassende Werke im Original oder als Kopie vorhanden sein, den Forschungsstand und seine offenen Fragen gibt die Ausstellung mit seinen zahlreichen Informationstafeln leider nur unvollständig wieder. Die nicht chronologische und immer wieder große Lücken aufweisende Nummerierung der Infotafeln läßt vermuten, daß man nur in der Lage ist, einen kleinen Teil des “gespeicherten” Wissens in dem kleinen Museum zu präsentieren. Manches, was wir inzwischen erfahren hatten, fanden wir bestätigt, oder konnten Erfahrenes vertiefen. Neu für uns, da bislang nicht gesichtet, waren einige Holzfiguren aus dem Vogelmannkult, die Figur des Vogelmanns selber sowie eine von angeblich nur zwei dem Moai-Kult zugeschriebene Figur, die weibliche Züge aufweist.
Und weiter ging es auf unserem Besuch der auf der Westseite der Insel zugänglichen und immer wieder an exponierten Orten errichteten Ahus. Erkennbar wenige machten sich auf den etwas beschwerlichen Fußweg im prallen Sonnenlicht. Der Weg führte auch immer wieder weg vom Meer und bescherte uns manchen zusätzlichen Kilometer Wanderweg. Plötzlich kam uns auf dem Weg mit größerer Geschwindigkeit und eine für uns unangenehme große Staubwolke aufwirbelnd ein Fahrzeug entgegen gefahren; an uns vorbeifahrend entschuldigte man sich mit dem zugerufenen Hinweis, es ginge um einen Unfall. Wenn man es denn glauben will – eine schöne Ausrede für ein störendes Verhalten. Nachdem dann gut 15 Minuten später mit großem Trara Polizeifahrzeuge und ein Krankenwagen ebenfalls an uns in entgegengesetzter Richtung vorbeifuhren, schien wirklich etwas passiert zu sein. Dann sahen wir die Fahrzeuge in der Nähe einer Felsklippe stehen, unser Interesse war geweckt, insbesondere, nachdem wir vorher in großer Entfernung einige Taucher gesichtet hatten. Es ging jedoch nicht um einen verunglückten Taucher wie wir feststellten, sondern eine offensichtlich ortsansässige Frau war mit ihrem Kleinfahrzeug über den Klippenrand hinausgefahren. Zum Glück war die Fallhöhe vielleicht nur 10 Meter, die Airbags hatten funktioniert und unten schlug sie auf diverse kleinere Felsen auf und landete nicht im Wasser; inzwischen war sie von den Rettungssanitätern geborgen und erstversorgt worden; sie lebte und Fußbewegungen deuteten an, daß vielleicht die Blessuren relativ glimpflich waren. Ein ebenfalls anwesender radelnder Amerikaner, der das verunfallte Fahrzeug wohl als erster gefunden und Hilfe herbeigeholt hatte, meinte, vielleicht hätte die Frau in einer Art Panik in der Nähe der Klippe Gas- und Bremspedal verwechselt.
Der nächste Ahu, auf den wir trafen, war der Ahu Akapu/auch Hanga Kio’e genannt, von dem uns ein einsamer Moai aus seinen leeren Augenhöhlen anstarrte. Und wie an anderen Orten auch, eine traumhafte, wilde Küstenlandschaft bildete die Kulisse für diesen Ort.
Höhlen hatten bei den Bewohnern Rapa Nuis eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung. Zum einen waren sie für einen großen Teil, wie es heißt Wohnstätte der Großfamilie, teilweise des Clans, zum anderen aber auch Zufluchtsstätte und Versteck. Die Höhleneingänge wurden deshalb oft sehr klein gehalten, ein Durchkommen oft nur auf den Knien möglich. Auch größere Wohnhöhlen mit ihren weiten Öffnungen wurden im Ernstfall durch Aufschüttung und den Bau eines kleinen Tunnels gesichert. Insbesondere im südlichen Inselbereich hat man eine große Zahl von Höhlen gefunden, die nicht nur einen Eingang hatten, sondern, so erfuhren wir, unterirdisch durch Gänge miteinander verbunden waren. Fluchtwege waren also vorhanden. Diese Fluchtgänge mussten wohl nur selten künstlich hergestellt werden, sondern waren im vulkanischen Gestein bereits vorhanden und mußten nur genutzt werden. Von der großen Höhle Ana Kakenga, auf die wir an der Westküste stießen, ist nicht bekannt, ob sie einen weiteren Fluchtweg als hin zum Meer besaß, denn mangels Licht konnten wir nur die ersten wenigen Meter des Höhlenganges einsehen. Auf den Fotos ist erkennbar, daß es sich um eine Höhle mit Meerblick (!) handelt. Ein- und Ausgang liegen deutlich mehr als 100 Meter von einander entfernt, was Indiz für die Höhlengröße sein könnte.
In unmittelbarer Nähe zu dieser Höhlenanlage befindet sich ein Mininaturreservat für Seevögel, der oder die Motu(s) Tautara, auf die gerade die auflaufende Flut stärker anbrandete.
Mit dem Auffinden der Letzten Ahu-Anlage auf unserer heutigen Wanderung taten wir uns schwer. Am Ende des küstennahen Weges fanden wir zwar ein Schild, das uns auf den gesuchten Ahu Tepeu hinwies, aber wo genau diese Anlage vom Schild aus gesehen sich befindet, war nicht zu erkennen. Das einzige, was nach einem Weg aussah war ein etwas breiteres Wegstück, auf dem das Gras offensichtlich gemäht war, für uns ein Indiz, wo es langgeht. Aber wir kamen nicht zu unserem gesuchten Ziel, kletterten zwar über Zäune, durchstreiften auch im weiteren Umkreis das Gelände rechts und links des angeblichen Weges, fanden sogar einige Reste eines Ahus und Teile von Hare-Paenga-Häusern, aber die gesuchte Ahu-Anlage war von der Bildfläche verschwunden. Bei der enormen Hitze nutzten wir jede Möglichkeit, uns im noch so kleinen Schatten auszuruhen.
Wir brachen die sinnlose Suche ab und kehrten auf unseren Wanderweg – fast – zurück. Da ich bei einem Rundumblick in Meernähe einen irgendwie ungeordneten Steinhaufen meinte ausgemacht zu haben, gestand mit Katrin einen letzten Versuch ans Ziel zu kommen zu. Also stiefelte ich über die Wiese Richtung Meer und wurde bald fündig. Hier vor mir lagen die vielen Teile einer früher sehr großen Anlage, mit einem ziemlich großen Ahu, einer Vielzahl – waren es sieben oder acht – Moai-Köpfe, die ich gezählt habe, die Fundamente mehrerer Hare-Paenga-Häuser, von denen das längste fast 50 Meter maß, mit einem extrem schmalen Eingang, Fundamentsteine mit Bohrungen, in die nicht nur Ästchen, sondern auch Äste gesteckt werden konnten zur Herstellung des Daches, eine Höhle, und diverse Steinovale, in denen windgeschützt Pflanzen gezogen worden waren. Hier hätte man länger stöbern können und wäre wohl auf immer weitere Fragmente früherer Kultur gestoßen, die an diesem exponierten Ort an der Steilküste einfach so herumliegen, aber die mehrstündige Wanderung in brütender Hitze, der vor uns liegende nicht weniger lange Rückweg reduzierten das Entdeckerengagement erheblich und der Rückweg wurde angetreten.
Heute, der 13.1., unser letzter Tag auf Rapa Nui, denn unser Flieger nach Tahiti startete gegen Mitternacht, war Vespatag. Einige wenige Kulturstätten hatten wir noch nicht besucht; da diese jedoch ziemlich weit vom Quartier entfernt liegen, gingen wir den etwas leichteren Weg und ließen uns transportieren. Wenn man schon ungeschützt durch die Landschaft fährt, dann wird man bestraft, wir durch einen heftigen Regenguß, dessen schlimmste Folgen wir vermeiden konnten, denn einer der wenigen Bäume am Wegesrand bot uns ausreichend Nässeschutz.
Unser Ziel war, an diesem letzten Tag vor unserem Abflug auf Rapa Nui die Orte noch motorisiert zu besuchen, die bislang zu abgelegen waren, um unser Bild zu vervollständigen. Erster Anlaufpunkt war der Ahu Vinapu, an der Südküste unmittelbar hinter der Landebahn des Flugplatzes am Meer gelegen. Im Grunde stehen hier zwei Ahus, beide relativ gut erhalten, natürlich sind auch hier die Moai gestürzt worden, liegen auf dem Gesicht, die Pukaos liegen manchmal etwas weiter entfernt. Nicht in jedem Fall lag der Kopf mit dem Gesicht zum Boden; die Dimensionen eines der Köpfe kann vielleicht an dem Bild ermessen werden.
Der für die wissenschaftliche Auseinandersetzung bedeutsamere Ahu ist in den folgenden Fotos dargestellt. Die nahezu fugenlose Bauweise, das Ineinanderpassen der einzelnen zurechtgehauenen Mauersteine erinnerten Thor Heyerdahl an die Inkamauern in Cusco und waren ein Mosaikstein in seiner Besiedlungstheorie der Osterinsel. Wie es heißt, findet man jedoch nur bei diesem Ahu eine derart perfekte Bauweise. Verblüffend, wie selbst kleinste Steine zurecht gehauen wurden, damit sie eine Lücke füllen.
Auf unserem Weg zur Produktionsstätte der Pukaos im Krater Puna Pau bemerkten wir plötzlich links neben unserer Straße einen einsam dastehenden Moai; wir hielten an und kurz darauf hielt auch ein Einheimischer neben uns um uns zu erklären, wie wichtig der Besuch dieses Ahus sei. Auf einen Stop mehr oder weniger kam es nicht an, dieser zählte dazu noch zu den lohnenden. Keine Hinweistafel vor Ort, um die Stätte zu identifizieren, aber ein sehr gepflegtes Umfeld. Wir vermuten, es handelt sich um den Ahu Huri A Urenga, aber genaues wissen wir nicht, haben keine Informationen. Anscheinend unweit des Ahu befindet sich ein Grab. Die Hände des hier wieder aufgestellte Moai sind vor dem Bauch nur angedeutet, als feine Linien in den Stein gemeißelt, auch der Bauchnabel ist noch erkennbar und steht anscheinend leicht hervor. Soweit wir uns erinnern, sind die Merkmale besonders alter Figuren.
Bereits vor Jahrhunderten beherrschten die Menschen die arbeitsteilige Produktion und die Herstellung von Teilen an für die Produktion optimalen Orten. Der Krater Puna Pau liegt nicht gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zur Produktionsstätte der Moai, dem Rano Raraku, sondern gut 20 Kilometer entfernt. Eine weitere Herausforderung, um das Produkt an Ort und Stelle zu vervollständigen. Im Krater Puna Pau ist rote Schlacke vorhanden, das Material, aus dem die Haartracht/Kopfbedeckung hergestellt wird. Auch hier wurde der Hammer sehr plötzlich weggeworfen, wie die zahlreichen noch im Krater steckenden unfertigen Pukaos zeigen. Andere liegen zum Abtransport auf der Wiese außerhalb des Kraters, ob vollendet wissen wir nicht, ersichtlich ist jedoch, wie einige dieser Kopfaufsätze mit Petroglyphen verziert sind. Hier liegen sie seit Jahrhunderten, sind inzwischen in den Boden eingesunken. Deutlich wird auch, wie die Aufsätze befestigt wurden – sie hatten eine Aussparung, die in den Kopfzapfen des Moai passen musste. Strittig ist, wie die Kopfbedeckung/Haarputz auf den Körper kam. Die einen sprechen von Rampen, über die die Pukao zum Kopf der stehenden Figur gerollt wurden, andere glauben, mit Hilfe von Stangen sei der schwere Steinkörper in die Höhe geliftet und aufgesetzt worden.
Von Puna Pau aus hat man auch einen schönen Blick auf die Bucht von Hanga Roa, den wir bei einer kleinen Pause genossen haben.
Nach unserer Informationen befinden sich bis auf zwei alle Ahus an der Küste. Die größte der binnenlands liegenden Anlagen ist der Ahu Akivi (die andere hatten wir bereits auf dem Weg hierher zufällig gesehen), auch Siete Moai genannt. Während sonst die Moai in das Land blicken, der See den Rücken zukehren, den Untertanen in die Augen starren, sehen die hier auf einer sehr niedrigen Plattform stehenden sieben Moai auf das Meer. Dass gibt zu Spekulationen Anlaß. Der Legende nach stehen diese sieben Moais stellvertretend für die sieben von Urvater Hotu Matu’a ausgesandten Kundschafter, die den Auftrag hatten, eine Insel für die Übersiedlung des Königs zu finden, Rapa Nui. Die Blickrichtung ist gen Polynesien gerichtet. Eine mehr Sachargumente einbringende Variante führt den im Landesinnern gewählten Standort darauf zurück, daß die Küstenbesiedlung keine weiteren Siedlungen in Meernähe mehr möglich machte, weshalb in das Landesinnere ausgewichen wurde. Im Gegensatz zu den bisher gesehenen Ahus fällt die Höhe dieser Plattform sehr niedrig aus; keine große Steinplatten stützen die Rückseite, wie bei allen fällt die Fläche auf der Vorderseite, durch eine Art Rundstein gepflastert, leicht ab. Im Umfeld des Ahus konnte man eine Reihe von Fundamente erkennen, deren Bedeutung uns unklar ist. Wie immer sind die Moai prächtig große Figuren, wie man unschwer erkennen kann. Diese Anlage it eine der wenigen, die man weitgehend vollständig restauriert hat. Obgleich sie etwas besonderes im Reigen aller hier stehenden Ahus ist verirren sich nur vereinzelt Besucher hierher.
Wenige Kilometer weiter östlich verzeichnet die Karte Ana Te Pahu, eine große Wohnhöhle. Hatten wir gestern auf Grund fehlender Taschenlampe die Höhle Ana Kakenga nicht wirklich besichtigen können, sind wir heute bestens ausgerüstet. Die erste Hürde zur Höhle scheint schnell genommen, denn ein Schild weist darauf hin, daß in dem Gebiet sich die Höhle befindet.
Also machen wir uns auf den Weg durch das Gestrüpp und das Gelände. Wir finden, vorerst, zwar die gesuchte Höhle ncht, dafür aber einfach in der Landschaft herumliegende Fundamentsteine von Hare Paenga-Wohnhäusern hier auf der Ebene, weit weg vom Meer. Eigentlich befinden diese sich in der Nähe von Ahus, insofern hat vermutlich auch hier im Umfeld ein Ahu gestanden. Nicht alles was alt ist, scheint von besonderer Bedeutung zu sein; nur so ist zu erklären, daß diese Steine hier auf einer von Pferden genutzten “Wiese” so herumliegen.
Aber die gesuchte Höhle blieb wie vom Erdboden verschwunden. Wir streiften kreuz und quer durch das Gelände ohne Erfolg, fast ohne Erfolg, denn dann bemerkten wir eine kleine Steinmauer, die es zu untersuchen galt. Sie grenzte eine große Höhle ein, deren Decke eingebrochen war. Die gesuchte Ana Te Pahu war es jedoch nicht.
Zurück am Parkplatz fiel bei einem Rundumblick ein kleines Wäldchen nur wenige Meter entfernt ins Auge – vielleicht dort die Wohnhöhle? Wir gingen in das Wäldchen und fielen fast in die Höhle. Versteckt lagen die Felsstufen, die in die Tiefe führten. Wir standen in einer kleinen Senke mit einem Durchmesser von vielleicht 50/60 Metern. Auf einer Seite bemerkten wir dann einen Höhleneingang. In der Höhle selber waren für uns nicht erklärbare Steinhaufen in Form von Rechtecken aufgeschichtet. Deutlich war auch, daß diese Höhle nicht nur einen Zugang hatte, d.h. für einen Fluchtweg war gesorgt. Nichts war erkennbar, was auf eine Wohnhöhlennutzung hindeutete; eine Feuerstelle fanden wir nicht, dafür bemerkten wir einen verzierten Stein in der Nähe des Eingangs. Diese Höhle war nicht die einzige, die von dieser Senke aus abging. Auch auf der gegenüberliegenden Seite war ein entsprechender Eingang vorhanden. Die Senke selber wurde wohl von einem Landwirt zum Anbau von Bananenpflanzen genutzt; ein gutes Plätzchen, denn geschützt war es hier wirklich.
Damit hatten wir unser “Besichtigungsprogramm” absolviert; natürlich gibt es noch unzählige weitere historisch und kulturell wertvolle Stätten und Anlagen auf der Insel, unser Wissensdurst war weitgehend gestillt, unsere Aufnahmefähigkeit erschöpft. Zum Abschluß machten wir noch einen kleinen Abstecher an die Südküste, vorbei an dem einen oder anderen Ahu und genossen den Blick auf das Meer, die hier anrollenden Wellen.
Unsere Zeit auf Rapa Nui ging zu Ende; das Moped wurde zurück gebracht, der Spätnachmittag und Abend auf der Terrasse unseres Quartiers mit anderen Gästen plaudernd verbracht, bis uns Keka gegen 23:00 Uhr mit Sack und Pack zum Flughafen brachte und uns gebührend mit einer Muschelkette verabschiedete.
Rapa Nui war es wirklich wert, hier die Tage verbracht zu haben. Erholung sieht zwar anders aus, das war auch nicht unser Anspruch. Wir wollten etwas über die Kultur der Insel vor Ort erfahren, was in großem Maße erfolgt ist. Nicht alles haben wir verstanden, manches auch nicht mehr in Erinnerung. Bleiben wird aber ein unvergesslicher Eindruck dieser Insel und seiner Kultur. Dieser Abstecher ist ebenfalls zu den Höhepunkten unserer Reise zu zählen!